Odion Omorogiuwa
Verkaufsplatz: Spar Papierfabrikgasse und Lidl Weinzöttlstraße, Andritz
Auf Umwegen
Es ist ein kühler Abend, an dem ich mich mit Odion zu einem Interview verabredet habe. Als ich Notizblock und Kugelschreiber in meinem Rucksack verstaue, ahne ich noch nicht, auf welchem Irrweg ich zu unserer Verkäuferin gelangen sollte. Bei Lidl angekommen, treffe ich auf einen anderen Megaphon-Verkäufer, der mir versichert, dass ich falsch sei. Verwirrt greife ich zum Handy und rufe erneut bei ihr an. Das Gespräch gestaltet sich ähnlich wie das am Vortag. Anstatt direkt mit Odion zu sprechen, höre ich ihr eigentlich nur dabei zu, wie sie freudig die Kund:innen des Geschäfts begrüßt, vor dem sie das Megaphon verkauft: „Hallo schöner Papa, hallo Mama, wie geht’s?“. Nach kurzem Hin und Her klärt sich unser Missverständnis auf. 18 Minuten später stehe ich vor Odion, die mich freudig empfängt: „Gott führt uns alle an den richtigen Ort, manchmal über Umwege!“ Und Google Maps hat auch nicht geschadet.
Der Glaube als Kompass
Als Odion 2018 von Nigeria nach Österreich kommt, muss sie ihre Zwillingsschwester zurücklassen: „An meinem Geburtsland vermisse ich nichts außer ihr. Ich bete jeden Tag, dass es ihr gut geht.“ Odion reist ihrem Mann hinterher. Er arbeitet als Staplerfahrer und fühlt sich in Österreich sicher. Seine neue Heimat wächst auch Odion schnell ans Herz: „Österreich ist wunderschön. Ich bin sehr glücklich darüber, endlich hier zu leben. Gott meint es gut mit mir.“ Das Megaphon verkauft sie, um ihre monatlich anfallenden Schulkosten zu decken. In Nigeria durfte Odion keine Schule besuchen, ihre ganze Energie floss in die harte Arbeit am Feld ihrer Familie. „Den ganzen Tag haben wir nichts anderes gemacht, als Yams zu ernten. Das sind die Kartoffeln Nigerias“, sagt sie und zeigt mir ihre rauen Hände. Odion hat immer davon geträumt, eine Ausbildung zu machen und verschiedene Sprachen zu lernen. Doch auch als sie in Österreich ankam, war sie sich lange nicht sicher, ob der Besuch einer Schule das Richtige für sie ist: „In Nigeria werden Frauen in der Schule geschlagen, wenn sie nicht schlau genug sind. Ich hatte Angst, dass es auch hier so ist.“ Aber nach dem ersten Schultag haben sich alle Zweifel gelegt. Odion lernt Englisch, Deutsch und Mathematik. „Alle Menschen in der Schule respektieren mich, wie ich bin. Jetzt freue ich mich auf jede Unterrichtseinheit – es gibt noch so viel zu lernen. Mit Gottes Kraft schaffe ich alle Aufgaben!“
Begegnungen
Zum Ende des Interviews bitte ich Odion, für ein paar Fotos zu posen. Als sie meine Kamera sieht, kramt sie in ihrem Rucksack drei transparente Beutel hervor. Gespannt schaue ich ihr beim Sortieren zu. Aus einem zückt sie Perücke und Kamm, aus einem anderen goldene Ohrringe und roten Lippenstift und aus dem letzten eine Dose Hautcreme. „Für die Fotos möchte ich hübsch aussehen, denn schließlich sehen sie mein Mann, meine Kinder und Enkel!“ Während Odion mit flinken Fingern die Kreolen in ihre Ohrlöcher steckt, kommt ein Kunde aus dem Geschäft und ist sichtlich überrascht. Odion lächelt ihn an und er stellt sich für ein Foto neben sie: „Fast jeden Tag kaufe ich hier ein, weil Odion so gute Stimmung verbreitet!“. Die beiden posieren vor der Kamera und Odion kann sich vor Lachen kaum halten. Der Mann verabschiedet sich und sie erklärt mir: „Für solche Begegnungen stehe ich jeden Tag auf!“
Lachen gegen die Einsamkeit
„Viele Menschen, die hier einkaufen, haben keine Familie. Deshalb quatsche ich mit allen, die kommen. Nach ein paar Scherzen entlasse ich sie mit einem guten Gefühl ins Geschäft.“ Dass Odion Menschen liebt und die Menschen Odion, ist nicht zu übersehen. Kaum jemand geht vorbei, ohne sie zu begrüßen oder ihr zuzuwinken. Als ich mich gegen Ende ihres Arbeitstages von ihr verabschiede und zum Auto gehe, ruft sie mir hinterher: „Good bye, nimm dir meine gute Laune mit!“. Im Rückspiegel sehe ich noch wie sie die Hände in die Luft wirft und tanzend ihre Sachen zusammenpackt.