Ich schaue
nach vorne
Diesmal: Fasuyi Dayo
Aufgezeichnet von Annelies Pichler
Foto: Clemens Nestroy
Megaphon 11/2018
Als ich Nigeria verlassen musste, ließ ich meine Vergangenheit los. Jetzt versuche ich, einfach nicht mehr an all das zu denken, das früher mein Leben ausgemacht hat. Manchmal kommen trotzdem die Erinnerungen hoch. Dann flüchte ich mich unter Menschen. Setze mich mit Leuten zusammen, rede mit ihnen. Über alles, nur nicht das, was mich eben noch verfolgt hat. So komme ich dann zur Ruhe und kann den Blick fest nach vorne richten. Ich bin jetzt ein anderer Mensch. Mit neuen Gedanken, neuen Zielen, neuen Freunden und Freundinnen. Ich schaue nach vorne.
Die Dinge, die ich hinter mir gelassen habe, haben keine Bedeutung mehr. Das Internet-Café, das ich 2003 in Nigeria gegründet hatte, gibt es immer noch. Ich habe es einem Freund übergeben. Aber für mich ist es Vergangenheit. Leider gilt das jetzt auch für meinen Bachelor in Philosophie. Er nützt mir jetzt kaum. Zumindest nicht, solange ich noch keinen Aufenthaltstitel habe. Erst dann, wenn ich weiß, dass ich in Österreich wirklich eine neue Heimat gefunden habe, kann ich weiterschauen und konkrete Schritte setzen. Davor kann ich mein Leben nicht planen. Alles, was ich tun kann, ist, diese Zeit des Wartens und Hoffens so zu nutzen, dass ich für alle Möglichkeiten gut gewappnet bin. Dann aber, wenn ich durch das Recht, hier zu leben, wieder festen Boden unter den Füßen habe, werde ich aktiv. Ich werde meinem Leben auf allen Ebenen Bedeutung geben und hoffe, dass ich dadurch auch für andere wichtig werde. Wenn jemand so viel erlebt hat und weiter durchmacht wie ich, entwickelt sich die Persönlichkeit. Sie wird stärker und das möchte ich zum allgemeinen Nutzen einbringen.
Ich habe in Österreich neue Freundschaften geschlossen. Sehr viele davon mit Afrikanern und Afrikanerinnen. Wenn du neu in einem Land bist und die Sprache nicht sprichst, ist es schwer, die Menschen in diesem Land einzuschätzen. Dabei bist du aber in einer Lage, in der du so sehr auf menschlichen Rückhalt angewiesen bist. Also habe ich aktiv Leute aus meiner alten Heimat gesucht. Über den Grazer Verein Chiala Afrika habe ich sie gefunden und auch über afrikanische Kirchen. Durch das Verkaufen des Megaphon habe ich auch Einheimische kennengelernt, mit denen ich Freundschaften geschlossen habe. Immer wieder werde ich sonntags zum Mittagessen eingeladen. Das gibt mir Kraft.
Etwas, das mir in diesem europäischen Land auch hilft, sind die Ruhe und die Disziplin. In Nigeria bist du irgendwie ständig unter vielen Menschen und es ist sehr laut. In Österreich verliere ich mich nicht so leicht im Lärm, weil es viel ruhiger ist. Das schätze ich sehr. Es hilft mir, mich auf das Wesentliche zu besinnen, auf den Menschen, der ich werden will.
Etwas Afrikanisches werde ich aber doch in meine Zukunft mitnehmen.Die Stoffmuster und die Kultur meines Volkes, der Yoruba. Denn sie gehören zu meiner Identität. Die kann man nicht ablegen. Das ist gut, denn so lebt weiterhin eine alte Tradition in mir, die mich mit meinem früheren Selbst verbindet und mir auch in meinem neuen Leben inneren Halt gibt.