Wie Taiwan Corona trotzt
Chia-Tyan Yang ist Megaphon-Kolumnistin mit MigrationsVORDERgrund. In ihrer Corona-Kolumne „Zuhause mit Chia-Tyan“ erzählt sie, warum ihre Heimat Taiwan nicht Mitglied der WHO werden kann und entgegen aller Prognosen erfolgreich Covid-19 bekämpft.
Keine 170 Kilometer trennen die Inselrepublik Taiwan von China. Weit über eine Million Menschen aus den beiden Ländern leben jeweils „auf der anderen Seite“. Die Insel ist rund zwei Drittel kleiner als Österreich und mit einer Einwohnerzahl von 24 Milionen sehr dicht bevölkert. Laut Prognosen hätte Taiwan nach China die Region mit den meisten Corona-Fällen sein müssen. Nichts dergleichen ist passiert. Am 21. Jänner wurde der erste Fall bestätigt, Anfang März zählte Taiwan gerade einmal rund 50 bestätigte Fälle.
Kompliziertes Verhältnis zu China und WHO
Der erste Anlauf zur Bekämpfung von Covid-19 in Taiwan begann bereits im Dezember 2019. Anfang Jänner 2020 hat die chinesische Regierung einige Dutzend bestätigte Fälle veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Taiwan weder Verdachtsfälle noch Infizierte. Dennoch wurden Kommandozentren errichtet, Infokanäle in sozialen Netzwerken eingerichtet, Corona-Apps programmiert, medizinische Ressourcen koordiniert, Gesundheitschecks an Flughäfen durchgeführt und die Zuständigen hielten täglich Pressekonferenzen. Warum betrieb Taiwan einen solch riesigen Aufwand? Die Antwort ist einfach: Taiwan ist skeptisch, was die vom diktatorischen chinesischen Regime veröffentlichten Angaben und Heldentaten betrifft. China betrachtet Taiwan offiziell als chinesisches Territorium und führt seit Jahren einen gezielten Informationskrieg gegen das kleine demokratische Land. So hat man gelernt, mit den Meldungen aus dem Land, in dem es keine Pressefreiheit gibt, vorsichtig umzugehen.
Zudem hat Taiwan ein kompliziertes Verhältnis zur Weltgesundheitsorganisation WHO. Das US-amerikanische „CEOWORLD magazine“ hat 2019 eine Gesundheitsversorgungsindex (Health-Care-Index) veröffentlicht, Taiwan stand auf Platz 1. Das Land mit dem besten Gesundheitssystem weltweit wird jedoch von der WHO ausgeschlossen, da China enormen Druck ausübt. Sämtliche Versuche von Taiwan, Mitglied bei der WHO zu werden, scheiterten bis dato kläglich.
Konkrete Maßnahmen der taiwanesischen Behörden
Mein Heimatland ist nun auf sich angewiesen. Ein ausgeklügeltes Echtzeit-Frühwarnsystem für das Coronavirus wurde entwickelt. Die Regierung sorgt mit Dekreten dafür, dass den Spitälern, Arztpraxen die nötigen medizinischen Ausrüstungen sowie den Apotheken und Bürger_innen Mundschutz und Desinfektionsmittel nicht ausgehen. Die Digitalministerin Audrey Tang, die als mutige Transsexuelle und Ex-Hackerin vor allem bei den jungen Menschen großes Ansehen genießt, programmierte eine „Mundschutz-App“.
Ein genaues Trackingsystem wurde eingeführt; Kontaktpersonen, Familienmitglieder und Mitbewohner_innen des bestätigten Falls werden umgehend getestet, die einzelne Fälle werden durchnummeriert (Fall 1, Fall 2 etc.); das Geschlecht und das ungefähre Alter der Infizierten („rund 30 Jahre“); Art der Infizierung („Fall 20 – 23 sind Mitglieder einer Familie“); Ort der Infizierung („Fall 51 ist Rückreisende aus Österreich“) sowie bestehende Verhältnisse zwischen den Infizierten („Fall 39 hatte Kontakt zu Fall 43“) werden penibel nachvollzogen. Viele der Maßnahmen lösten zwar datenschutztechnisch Kritik aus, wurden jedoch von der Allgemeinheit akzeptiert.
Gratis Videostreaming für Heimquarantäne
Im März häuften sich negative Meldungen aus Europa, zahlreiche taiwanesische Studierenden und Reisenden flogen fluchtartig nach Hause. Sie wurden am Flughafen abgefangen und auf Coronavirus getestet. Mit 27. März hat Taiwan 267 bestätigte Fälle, mehr als die Hälfte wurden in Europa infiziert.
Meine Freundin Chuan ist von der Türkei nach Taiwan heimgekehrt, nach den Gesundheitschecks am Flughafen brachte sie eine kostenlose Taxi heim und sie musste sich in Quarantäne begeben. Am nächsten Morgen stellte die Bezirkshauptmannschaft ein „Anti-Corona-Packerl“ zu. Dort finden sich: Infomaterial, Thermometer, Gutscheine für Videostreamingdienste und Onlinebibliotheken sowie Bücher. Aber auch Kekse, Getränke, Instantsuppe, Fertiggerichte, Bio-Reis. Und nicht zuletzt Mundschutz, Desinfektionsmittel, Bio-Seife, Blumensamen, Zuchterde und Müllsackerl. Täglich erhält Alisa Kontrollanrufe. „Man versucht mich aufzumuntern, ich fühle mich richtig gut aufgehoben“, erzählt Alisa erstaunt, „außerdem kann ich jeden Tag gratis Filme sehen, die ich schon immer sehen wollte!“
Chia-Tyan Yang (*1979, Taiwan) nennt sich Neo-Österreicherin mit MigrationsVORDERgrund, sie ist klassische Pianistin und schreibt auf Deutsch sowie Mandarin. Mit ihrem Mann, der Jurist und Hobby-Winzer ist, lebt sie in Graz.