Wenn Erwachsene nicht folgen wollen
Die Menschheit weiß, dass sie vom Klimawandel bedroht wird. Doch sie ist zu träge, um etwas dagegen zu tun. Nun drängen weltweit die Klimakinder an die Macht. Auch in Graz.
Als Greta Thunberg elf Jahre alt ist, wird sie krank. Sie bekommt Depressionen, hört auf zu essen und zu sprechen. Die Diagnose: Aspergersyndrom, Zwangsstörungen und selektiver Mutismus. „Im Grunde bedeutet es, dass ich nur spreche, wenn ich es für nötig halte“, erzählt sie. Und ergänzt: „Jetzt ist einer dieser Momente.“ Wieder einmal.
Es ist Dezember 2018 und Greta steht auf der großen TedX-Bühne in Stockholm. „Save the world by changing the rules“, heißt ihr Vortrag, „Fridays for Future“ ihre Bewegung. Denn immer freitags bleibt die 16-jährige Schwedin seit September vergangenen Jahres der Schule fern. Sie will das so lange tun, bis ihr Heimatland Schweden die CO2-Emmisionen um 15 Prozent pro Jahr reduziert. Greta ist damit zum Symbol einer weltweiten Klimabewegung geworden. Sie ist das bekannteste der vielen Klimakinder, die an die Macht drängen, weil die Erwachsenen den bockigen Teenager mimen. Und einfach nicht folgen wollen.
Felix ist ein Jahr jünger als Greta. Er hat noch bei keinem TedX-Event gesprochen und ist auch nicht wie Greta kürzlich für den Friedensnobelpreis nominiert worden. Aber auch Felix hat ein Anliegen. „Ich gehe in die 6. Klasse der Modellschule hier in Graz“, sagt er. „Und ich möchte mich auch fürs Klima engagieren.“ Es ist Dienstagnachmittag, kurz nach 15 Uhr, und im 1. Stock des Forum Stadtpark haben sich neben ihm weitere junge Menschen eingefunden, die eine Vision haben. Nicht die kleinste, wohlgemerkt. Sie wollen unseren Planeten retten.
Über 2.000 Menschen waren keine drei Wochen zuvor beim ersten „Fridays for Future“-Klimastreik dabei. Was heißt Menschen. Es waren Schülerinnen und Schüler, die in der Freizeit Schilder mit Aufschriften wie „System change, not climate change“ oder „CO2 Steuer jetzt“ bastelten und damit durch die Innenstadt marschierten, anstatt die Schule zu besuchen. Die Kundgebung in Graz war die größte Österreichs an diesem Tag. Und initiiert wurde sie von Marlene, Lena und Jakob.
„Ich hab auf Instagram geschrieben, dass ich gerne eine Bewegung starten würde“, erzählt die 17-jährige Marlene vor dem Forum stehend. Der 18-jährige Jakob und die gleich alte Lena haben sich sofort bei ihr gemeldet. „Weil sie auch schon in den Planungen für eine Demo steckten.“ Alle drei befinden sich gerade in der achten Klasse, gehen in großen Schritten auf die Matura zu. „Das macht die ehrenamtliche Arbeit natürlich stressig“, sagt Jakob, „aber gerade deshalb machen wir Treffen wie heute.“ Junge Menschen gehen also auf die Straße, weil sie sich ein Einlenken der Politik und Industrie wünschen, um für sich und kommende Generationen einen bewohnbaren Planeten zu erhalten. Während einige Erwachsene die eigene Fehlbarkeit bereits erkennen und die Initiative unterstützen, sind andere wenig begeistert. Der Vorwurf lautet, hier würde eine Generation einen Vorwand suchen, um die Schule zu schwänzen, aber nicht bereit sein, nachhaltiger zu leben.
Dabei tun sie es. Marlene, Lena, Jakob und Felix erzählten davon, wie sie auf Fleisch verzichten und das Fahrrad als Transportmittel oder Second-Hand-Kleidung bevorzugen. Aber auch davon, dass es nicht immer leicht ist, nachhaltig zu leben. „Gerade jungen Menschen wird es bei Themen wie Reisen schwer gemacht, nachhaltig zu sein“, sagt Lena etwa. Immerhin befindet man sich gerade im jungen Alter in einem Zwiespalt zwischen dem Bedürfnis, Neues zu entdecken, und dem Wissen darüber, dass ein Flug dem eigenen ökologischen Fußabdruck schadet. „Ich wünsche mir, mehr Steuerung von oben. Wenn der Zug für eine Reise innerhalb Europas die billigste Option ist, werden ihn die Menschen dem Flug vorziehen“, erklärt Marlene. Aber wie ist es nun mit dem Schuleschwänzen? „Wir haben auch von der Industriellenvereinigung eine Antwort auf unsere erste Demo erhalten. Über ein Zeitungsinserat“, erzählt Lena. „Wir sollten lieber lernen gehen, um eine Lösung zu finden. Das Inserat hat mich wütend gemacht. Ich halte es ganz mit Greta: Die Lösungen sind da. Es ist Zeit, etwas zu tun.“
Die kritischen Stimmen gegen die Klimakinder, sie wurden vor dem 15. März wieder besonders laut. Da fand der nächste weltweite Aktionstag der „Fridays for Future“-Bewegung statt, der über eine Million junge Menschen auf der ganzen Welt auf die Straße treiben sollte. Und ausgerechnet in Graz wurde aufgrund eines Zufalls ein besonders starkes Zeichen gesetzt. Weil am selben Tag der traditionelle Schulskitag eines steirischenPrivatradios stattfand, fürchteten Lena, Marlene und Jakob um eine rege Teilnahme am Vormittag. Und organisierten daher eine Lichtermeerdemo am Abend. An die 3.000 Menschen fanden sich am Grazer Tummelplatz ein. Der Großteil von ihnen war schulpflichtig, der Rest bunt gemischt.
Auch Felix marschierte mit. „Natürlich“, sagt er, der nicht als Einziger aus seiner Umgebung dabei war. „In meiner Klasse gibt es ein paar, die sich für Klimaschutz interessieren“, erzählt er. „Aber allgemein sind viele in meiner Umgebung sehr politikverdrossen. Politische Themen sind uncool. Deshalb finde ich diese Bewegung auch so wichtig.“ Und meint damit eigentlich vor allem sich selbst. Mit seinen 15 Jahren und ganz ohne Matura vor der Tür, verkörpert er eine der Zukunftshoffnungen der Grazer „Fridays for Future“-Bewegung. Und damit eigentlich auch der Menschheit. Denn auch Greta Thunberg aus Schweden war bis vor wenigen Monaten nicht mehr und nicht weniger als Felix Gosch aus Graz: eines dieser Kinder, das dann spricht, wenn es nötig ist. Und endlich gehört werden möchte.