Vom Hinfallen
und Aufstehen
Das heurige Jahr läuft überhaupt nicht ganz so rund, wie ich
es mir eigentlich vorgestellt habe. War gesundheitlich ziemlich
angeschlagen, konnte nicht mal auf Wintersaison gehen, weil der
Körper nicht mitgespielt hat. Bin von Arzt zu Arzt gelaufen. Habe
Cortison geschluckt und mich gefühlt wie ein elender Hund. Erst
seit ich auf Kur war, meine Ernährung umgestellt habe und jeden
Tag konsequent mindestens eine halbe Stunde Sport mache, geht
es wieder bergauf. Habe mich so hingekriegt, dass ich arbeitsfähig
bin und heute wieder fit wie ein Turnschuh.
Aktuell. Gerade wieder mal eine Knickphase. Erstmals seit
ich wieder im Arbeitsleben unterwegs bin, habe ich einen Job
hingeschmissen. Hat halt nicht gepasst und bevor es eskaliert, bin
ich auf und davon. Erzähl das jetzt, weil es gerade sehr frisch ist,
weiß aber auch, dass diese Episode als bleibendes Fanal in meiner
Vita nicht wirklich präsent sein wird. Da sind schon ganz andere
Sachen passiert, die sich eingeprägt haben.
Eine davon hat mich viele Jahre in den Knast gebracht. Hat mich
von allem getrennt, was mir wichtig war, meinen Kindern, meiner
Familie, meinen Freundinnen und Freunden, einfach allem. Dieser
Knick, der in Wirklichkeit ein Fallbeil war, hat mich damals vor die
ultimative Frage gestellt: weiterleben oder sterben.
Natürlich hat mir damals, in dieser Phase, auch geholfen, dass ich
ein Umfeld hatte, das mich unterstützt und mir Halt gegeben hat.
Viele, die ich in dieser Zeit kennengelernt habe, hatten dies nicht
und manche haben sich für den zweiten Weg entschieden.
Nachdem ich aus dem Häf‘n entlassen wurde, haben viele Leute,
die von meiner Geschichte wussten, gefragt, wie ich diese
Zeit ausgehalten habe. Eine Frage, die gar nicht so leicht zu
beantworten ist. Nach meiner Verurteilung hat es nämlich schon
eine ganze Weile gedauert, bis ich begriffen habe, was da jetzt
mit mir passiert. Und in den ersten Jahren gab es etliche Tage, an
denen ich der Verzweiflung nahe war.
Das Um und Auf war für mich damals, mich nicht gehen zu lassen.
Mich nicht im Selbstmitleid zu verlieren, sondern das, was jetzt
kommt, zu akzeptieren und niemand anderen für meine Situation
verantwortlich zu machen als mich selbst. Das schreibt sich jetzt
so locker dahin, war aber natürlich schon ein Prozess, der ein
wenig gedauert hat. Letztendlich habe ich mich ja für das Leben
entschieden. Und auch im Knast selbst ist ein relativ normales
Leben möglich. Du gehst von Montag bis Freitag arbeiten, am
Wochenende hast du frei. Es gibt Freizeitmöglichkeiten, du
hast einen Fernseher und meist auch einen Computer und du
hast die Möglichkeit, dich weiterzubilden. Genau das habe ich
gemacht. Dass ich nach meiner Entlassung in meinem alten Beruf
keine Chance mehr habe, war mir immer klar, also habe ich die
Gelegenheit beim Schopf gepackt und mein altes Hobby zum
Beruf gemacht. Heute bin ich ausgelernter Koch.
Wichtig war für mich aber auch, dass ich die Hilfe, die im
Gefängnis angeboten wurde, angenommen habe. So war
beispielsweise die wöchentliche Gesprächsgruppe für mich immer
ein Highlight. Dass andere auch eingesperrt sind, ist zwar kein
Trost für die eigene Situation, aber du fühlst dich einfach nicht
mehr komplett allein. Auch anderen geht es wie dir. Die Ohnmacht,
die mich am Beginn meiner Häf‘nkarriere oft befallen hat, habe ich
mit der Teilnahme an diesen Meetings gut wegbekommen.
Heute, über drei Jahre nach meiner Entlassung, kann ich sagen,
dass ich die Zeit, die ich hinter Gittern verbracht habe, nicht mehr
zurückholen kann. Aber ich habe die Zeit wenigstens sinnvoll
genutzt. Ich habe einen neuen Beruf gelernt, habe Bücher gelesen
bis zum Abwinken und auch ein paar Menschen kennengelernt,
mit denen ich heute noch Kontakt habe. Insassen wie Beamte!
Hinfallen – Aufstehen – Hinfallen – Aufstehen. Jeder, denke ich,
kennt diese Situation. Mein Hinfallen kann man getrost als Absturz
ins Bodenlose bezeichnen und das Wieder-Hinaufkrabbeln war
unendlich mühsam. Oben wieder angekommen, merkst du aber:
Nach oben geht es immer noch, eigentlich unendlich. Erkenntnis:
Sich zufrieden geben mit dem Erreichten und, wenn möglich, den
Level halten – das ist schwierig genug.
So, jetzt hab ich also drei Wochen früher Urlaub als geplant. Das
tut jetzt nicht wirklich weh, zumal auch das Wetter passt und
mein Drahtesel eh einige Ausfahrten braucht. Na dann tu ich ihm
halt den Gefallen, bis ich mich für ein paar Wochen in die Wärme
vertschüsse und Mitte November heißt es dann – heuer schon
zum vierten Mal! – Wildwürste, Glühwein und Co. am Adventmarkt
feilzubieten.
DER AUTOR:
Inot hat in seiner Kolumne „Haftnotizen“ im
Megaphon acht Jahre von seinem Alltag im
Gefängnis berichtet. Seit seiner Entlassung
schreibt er immer wieder über sein neues
Leben in Freiheit. Auch der Radiosender Ö1
hat den Kolumnisten schon interviewt.