Fotos: Peter Pataki
Text: Julia Reiter

Skatement

Eine Neuinterpretation der Straßenverkehrsordnung (StVO) hat dazu geführt, dass die Grazer Skater:innen keine Tricks mehr auf ihren Lieblingsspots machen dürfen. Die Skateszene ist empört, die Stadtregierung paralysiert. Denn über allem steht ein Gesetz. Julia Reiter versucht, dem Konflikt auf den Grund zu gehen.

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„Super Ansage im Grazer Sportjahr!“ „So sieht reaktionäre Politik gegen Jugendliche aus. Grässlich!“ Als Ende April bekannt wird, dass Skater:innen auf Gehsteigen und Fußgängerzonen ab sofort keine Tricks mehr machen dürfen, löst das eine Welle an Aufregung aus. Diese Verordnung kommt nicht zufällig. Sie richtet sich konkret gegen das Skaten am Kaiser-Josef-Platz und Lendplatz. Auch mein erster Impuls: Nicht im Ernst! Wenngleich sich meine bescheidenen Skateboardskills eher auf den Transitions[i] des Volksgarten-Skateparks entfalten und mich das Verbot somit nicht direkt betrifft, empfinde ich Mitgefühl für meine Rollbrettgefährt:innen. Doch was mich irritiert, geht über Skaten hinaus: Ich werde das Gefühl nicht los, die Skater:innen sind den Marktplätzen, was die Punks dem Erzherzog-Johann-Brunnen waren – ein Störfaktor und ein Reminder, der die Frage weckt: Wem gehört öffentlicher Raum? Die Mediatorin in mir wehrt sich und möchte der Sache auf den Grund gehen.

Vom Poller zum Verbot

Alles begann damit, dass 2018 Anti-Terror-Poller als Reaktion auf die Amokfahrt 2015 am Lendplatz aufgestellt wurden. Was für die einen Poller sind, stellt für die anderen Curbs[ii] dar. Es dauerte nicht lange, bis Streetskater:innen die Betonklötze für sich entdeckten und ihnen neues Leben einhauchten. Der Lendplatz wurde zum Spannungsfeld unterschiedlicher Bedürfnisse: jenem, vereinzelter Anrainer:innen nach Ruhe, und jenem der Skater:innen nach Spaß und Bewegung. Der Verein GRÄB (Grazer Rollbrett Ästheten Bund), eine Interessenvertretung von Skater:innen, nahm sich der Sache an. Was unvereinbar schien, konnte durch eine Nutzungszeitenregelung gelöst werden. Derweil gewann der Kaiser-Josef-Platz an Beliebtheit. Die begrenzten Möglichkeiten für Sport und Begegnung aufgrund der Corona-Maßnahmen und ein genereller Skateboardingtrend lockten vor allem Kinder und Jugendliche dorthin. Lärmbeschwerden trudelten bei der Stadt ein und das Friedensbüro wurde beauftragt, sich des Konflikts anzunehmen. Erste Lösungsvorschläge lagen bereits am Tisch, als das Trickverbot die Konsenssuche abrupt zum Stillstand brachte. „Wir haben davon erfahren, indem ein Skater von einem Polizisten auf recht forsche Art und Weise darauf hingewiesen wurde, dass das ab morgen verboten sei“, erzählt GRÄBMitglied David Knes, der sich intensiv für seine Community einsetzt. „Keiner hat sich ausgekannt weil das Skateboard seit Jahren laut StVO als ‚fahrzeugähnliches Spielgerät‘ gilt und die Benutzung daher auf Gehsteigen und in Fußgängerzonen gestattet ist.“ Sehr gefinkelte Juristen haben es geschafft, diese Rechtsansicht von einem Tag auf den anderen auf den Kopf zu stellen. Rollen bleibt zwar erlaubt, Ollies und andere Tricks sind aber verboten – laut David Knes eine Wortklauberei und Neuinterpretation, die ihm sehr willkürlich vorkommt. Willkürlich vielleicht auch deswegen, weil das neue Verbot wenig mit dem eigentlichen Problem – dem unerwünschtem Klackern – zu tun haben scheint.

Wirbel und Wildpinkeln

„Der Verkehrslärm trägt in Ballungsräumen etwa 70 bis 80 Prozent zur Lärmbelastung der BewohnerInnen bei“, heißt es im Grazer Lärmkompass. „Unterschieden werden bei Verkehrslärm die Bereiche Straße (Pkw, Lkw, Busse, einspurige Kfz), Schiene und Flugverkehr, wobei für Graz in erster Linie der Straßenverkehrslärm als Verursacher anzuführen ist.“ (Skaten wird im Lärmkompass übrigens nicht erwähnt.) Spätestens seit sich FPÖ-Gemeinderat Armin Sippel in einer Gemeinderatssitzung als glühender Auto-Fan geoutet hat, ist bekannt: Die FPÖ wird nicht diejenige Partei sein, welche die städtische Hauptlärmquelle in Angriff nehmen wird. Umso mehr irritiert es mich, dass sich selbige Partei nun als Bekämpferin von Lärm und Personengefährdung durch Skater:innen präsentiert. „Autolärm schön und gut, aber das Klackern und Kleschen der Skateboards macht die Leute einfach fertig“, äußert sich Bernhard Dohr, Pressepsrecher von Mario Eustacchio (FPÖ), dazu. Fair enough. Lärm scheint eine subjektive Angelegenheit zu sein. Und war immer schon Beschwerdebringer Nr. 1 für Skater:innen. Ich wende mich an den deutschen Raum- und Stadtplaner Wouter Mikmak. Seine langjährige Leidenschaft Skaten hat ihn veranlasst die „Brille der Möglichkeiten“ auch beruflich zu nutzen, indem er die Perspektive von Streetskateboarder:innen in die Stadtplanung integriert. „Das Problem beim Skaten ist, dass es keinen fließenden Lärm produziert sondern Lärmspitzen beinhaltet“, erklärt er. „Diese stechen heraus und werden anders wahrgenommen, auch wenn sie rein rechnerisch nicht unbedingt lauter sind als z.B. bereits vorhandener Autolärm.“ Aktive Schallschutzmaßnahmen am Skateboard seien nicht möglich. Passive Schallschutzmaßnahmen auf innerstädtischen Plätzen machen stadtplanerisch zumeist wenig Sinn. Daher lasse sich der Konflikt von den harten Fakten her auch nicht auflösen. Der bislang erfolgreichste Umgang mit Lärmproblemen sei, Nutzungszeiten festzulegen. Ganz wichtig dabei: eine gesamtstädtische Perspektive einzunehmen anstatt einzelne Plätze zu bewerten. In Graz könnten wir z. B. schauen, wann am Kaiser-Josef-Platz ohnehin Lärm vorhanden ist, und diese Zeiten zum Skaten freigeben. Zu anderen Zeiten müssten andere Orte zur Verfügung gestellt werden. Ein Ansatz, den es für den Platz auch schon gab. Doch Lärm scheint nicht das einzige Problem zu sein. Eine Befragung der Nutzer:innen des Kaiser-Josef-Platz durch das Friedensbüro ergibt als größtes Manko Müll und Verschmutzung. „Interessant, dass Lärm dort nicht das Hauptproblem zu sein scheint“, findet Jutta Dier, Leiterin des Friedensbüros. „Die Verschmutzung hat hingegen mehr mit dem Partyvolk zu tun. Durch das neue Verbot wird sich der Konflikt daher wohl kaum beruhigen.“ Auch was den Lärm angeht, sieht sie schwarz. „Ich halte es nicht für sinnvoll, ein solches Problem über eine Sicherheitsgesetzgebung zu lösen. Diese dient dem Schutz von Verkehrsteilnehmer:innen, nicht der Bekämpfung von Wildpinkeln, Partylärm und Müll.“

Kein Bock auf Domestizierung

Lärm und Müll. Klassische Schlagwörter eines Nutzungskonflikts im öffentlichen Raum. Warum es so wichtig wäre, diese Hürden zu überwinden, zeigt eine aktuelle Observer-Studie (Oktober 2020). Das Sport- und Freizeitverhalten der Menschen soll sich durch die Lockdown-Erfahrung massiv verändert hat. Knapp ein Drittel der Befragten haben weniger Sport betrieben. Weniger Bewegung kann sich negativ auf die Gesundheit auswirken und in weiterer Folge volkswirtschaftliche Schäden herbeiführen. Skaten hat in dieser bewegungsarmen Zeit hingegen einen kleinen Boom erlebt. Denn Skaten ist kein Kontaktsport, ist sehr niederschwellig und ideal für sozialen Austausch. Der Zeitpunkt des Trickverbots könnte also kaum ungünstiger sein. Besonders problematisch sieht Lisa Veith-Gruber, Obfrau des Vereins GRÄB, die Einschränkungen am Kaiser-Josef-Platz: „Diese treffen in erster Linie junge Menschen und das sind dieselben, die bereits durch Corona stark eingeschränkt wurden.“ Das Institut für Bewegungswissenschaften der Universität Graz teilt ihre Meinung: „Damit Kinder und Jugendliche in Bewegung bleiben, müssen wir ihnen die Freiheit lassen, ihren Bewegungsdrang ohne massive Hindernisse auszuüben.“ Ein Skateverbot erscheine da als „jugend- und bewegungsunfreundliche Politik“. Was den Zeitpunkt des Trickverbots weiters verungünstigt, ist das Grazer Sportjahr 2021. Dieser unglückliche Zufall (denn mehr ist es tatsächlich nicht) hat unter den Zyniker:innen auf den Sozialen Medien sofort eingeschlagen. Der Grazer Sportsamtleiter Thomas Rajakovics sagt dazu: „Das Sportjahr für alle existiert auch, wenn man auf zwei Plätzen nicht mehr skatet. Man kann auch nicht überall Tennis oder American Football spielen und trotzdem bleibt Graz eine Sportstadt.“ 600.000 Euro möchte die Stadt investieren, um die Grazer Skateparks auszubauen. Wer an einem sonnigen Nachmittag schon mal versucht hat, Slalom durch den überfüllten Volksgarten zu fahren ohne zu kollidieren, weiß die Investition zu schätzen. Wer meint, dies sei die Lösung, um Skater:innen von den öffentlichen Plätzen wegzukriegen, hat sich noch nie ernsthaft mit dem Thema beschäftigt. „Stellen Sie sich vor, Sie sind Jäger und wollen im Wald Tiere schießen“, startet der Raum- und Stadtplaner Wouter Mikmak einen Veranschaulichungsversuch. „Da kommt jemand und verbietet Ihnen das, weil es zu laut sei. Er schickt Sie in die Halle zum Sportschießen. Dort soll ein Abbild von einem Wildschwein stehen, auf das Sie genauso gut schießen können.“ Jede:r Jäger:in würde widersprechen und so wird es auch beim Skaten sein. Wouter Mikmaks Rat: „Um besser zu verstehen, muss man sich überlegen, woher Dinge kommen und wohin sie sich entwickeln.“ Skaten ist in den 1960er-Jahren in den USA als Fortsetzung des Surfens entstanden. Anfangs wurden Ditches[iii], später wegen Dürreperioden leerstehende Swimmingpools geskatet. Mit zunehmender Beliebtheit kam auch die Kriminalisierung. Seit seiner Entstehung steht Skaten im Konflikt mit dem Gesetz. Mensch könnte fast sagen: It’s part oft the game. „Wenn Skater:innen sich Spots zu eigen machen, werden sie kreativ tätig und interpretieren die Stadt neu“, erklärt Wouter Mikmak den Reiz des Streetskatings. „Ein Skatepark hingegen ist ein optimierter Zweckraum. Er ist vorinterpretiert. Wenn Plätze verboten und Ersatzhabitate angeboten werden, dann sind diese immer nur Substitut.“ Domestizierung des Skatens nennt es der Raumplaner und warnt mit einem verschmitzten Lächeln: „Skater:innen aus ihrem natürlichen Lebensraum herauszunehmen und in einen komprimierten Raum zu stecken, wird auf Dauer nicht funktionieren. Es wird immer Leute geben, die dort fahren, wo sie Bock haben.“

Alle über ein Deck geschert

Wenn wir im öffentlichen Leben Einschnitte erfahren, ziehen wir meist jemanden dafür zur Verantwortung. Vielleicht gehen wir auf die Straße, um zu demonstrieren. Zumindest vergeben wir am Wahltag unser Kreuzerl anderwärtig. Was diesen Fall so komplex macht: Niemand scheint das Verbot zwar ganz zu ignorieren, es fühlt sich aber auch niemand so recht verantwortlich. „Die aktuelle Rechtsauskunft wurde von einem Anrainer eingeholt“, sagt Jugend- und Sportstadtrat Kurt Hohensinner (ÖVP). „Die Polizei sieht sich nun an diese Rechtsauskunft gebunden und verhängt Strafen. Als Stadt können wir keine Regelungen treffen, die einem Bundesgesetz widersprechen würden.“ Gestaltungspotential gäbe es am Kaiser-Josef-Platz und Lendplatz schon, indem mensch diese als Spielstraßen definiert. Dass die beiden Plätze bereits sehr vielfältig genutzt werden, macht das allerdings schwierig. Eine einzelne Privatperson hat es also geschafft, die Nutzung zwei der beliebtesten Grazer Plätze auf den Kopf zu stellen. Hunderte von Nutzer:innen müssen die Rechnung bezahlen. Die Verhältnismäßigkeit finden auch einige Polizist:innen fragwürdig, wie ein zufälliges Aufeinandertreffen mit ihnen zeigt. Ich bin ehrlich gesagt überrascht, ja fast berührt von dem respekt- und verständnisvollen Austausch zwischen Skater:innen und Exekutive. Für sie sei es auch mühsam, etwas abzustrafen, das so gut wie niemanden stört, erklären uns die Beamt:innen. Ein Blick auf die Seite skaterlaerm.at kratzt dann doch an meinem Eindruck, niemand aus den Reihen der Stadtpolitiker:innen hätte mit dieser verfahrenen Situation zu tun. Unter dem Slogan „Ruhe statt Skaterlärm!“ machen die FPÖ-Bezirksorganisationen Lend und St. Leonhard dort Stimmung gegen Skater:innen am Lendplatz und Kaiser-Josef-Platz. Ein Videoclip mit Gänsehaut-Soundtrack und Schwarz-Weiß-Sequenzen markiert Skater:innen als gefährliche Rowdies. Mission Impossible nur ohne Tom Cruise. Ein klarer Fall für die FPÖ – Hüter:innen von Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Skateboarden wird oft mit Zerstören gleichgesetzt. Lisa Veith-Gruber kennt das. Als erste weibliche Skaterin in Graz hat die 45-Jährige Ärztin und Mutter schon einiges erfahren. „Die FPÖ hatte uns gegenüber schon immer ihre Vorurteile. Sie sehen uns als homogene Masse, mit der man nicht reden kann und die sich an nichts hält. Das stimmt einfach nicht.“ Ihre Versuche, mit den Freiheitlichen und Bürgermeister- Stellvertreter Eustacchio in Dialog zu treten, scheiterten. Lisa Veith-Gruber bedauert die Ignoranz, weist jedoch darauf hin, dass dies nicht auf alle FPÖ-Wähler:innen verallgemeinert werden dürfe: „Ich bin mir sicher, dass nicht alle diese Meinung teilen, dass manche auch Kinder haben, die selber gerne skaten.“ Dasselbe gilt für die Anrainer:innen. Auch sie sollten nicht über einen Kamm geschert werden. Laut David Knes gibt es einige Lend-Leonhard-Bewohner:innen, die das Skate-Treiben lässig und andere die es lästig finden, aber durchaus für Kompromisse bereit wären.

„Menschen schauen am liebsten andere Menschen an.“

Zu viele Vorurteile also. Wie kommt’s? „Menschen gehen nicht mehr aufeinander zu. Sie verhandeln Dinge nicht mehr aus, sondern ziehen sich einfach zurück“, berichtet Jutta Dier aus ihrem Arbeitsfeld. „Der Mut, Räume einfach zu nutzen, geht zurück. Menschen schränken sich oft selber ein, weil sie Angst vor der Konfrontation haben oder nichts mit Leuten anfangen wollen, die anders ausschauen oder einer anderen Generation angehören. Mit etwas mehr Respekt, Offenheit und Mut wäre, glaube ich, sehr viel mehr möglich.“ Dieses Potential wird auch in der Befragung des Friedensbüros sichtbar. Auf Platz eins der Beliebtheitsskala: die Möglichkeit der Zusammenkunft, gefolgt von der attraktiven Gestaltung und dem Nutzen für die Jugend. Raumplaner Wouter Mikmak überrascht das nicht. „Was machen Menschen im öffentlichen Raum am liebsten? Menschen schauen am Hut zu bringen, hat der Lendplatz gezeigt. Skater:innen konnten weiterhin die beliebten Curbs skaten, Anrainer:innen nachts ihren Schlaf finden. Jutta Dier hätte sich auch für den Kaiser-Josef-Platz eine solche Lösung gewünscht. „Das Zusammenleben kann man nicht durch Gesetze und Verbote definieren. Es basiert auf Anforderungen, Interessen usw., die sich mit der Zeit ständig verändern. Deswegen ist es so wichtig, diese immer wieder neu auszuhandeln. Durch das Trickverbot muss das Gericht nun nach dem Gesetz entscheiden und nicht nach den Bedürfnissen seiner Nutzer:innen.“ Auch Kurt Hohensinner bedauert die Situation: „Uns als Stadt und mir ganz persönlich ist Skaten ein Anliegen. Ich war in meiner Jugend auch selbst Skater und verstehe die Anliegen der Szene.“ Er bleibe daher mit den Vertreter:innen von GRÄB in Austausch. Bis es zu einer Lösung kommt, übernimmt der Verein die Strafmandate. Möglich ist das durch großzügige Spenden. Die Solidarität von allen Seiten ist bemerkenswert. „Die Skater:innen in Österreich sind sehr gut vernetzt und halten zusammen. Ganz Österreich schaut nun auf Graz. Was hier gilt, kann auch Auswirkungen auf das restliche Land haben“, berichtet Lisa Veith-Gruber. „Wir versuchen nach wie vor, durch Gespräche Lösungen zu finden. Erst wenn der Dialog scheitert oder zu leise wird, denken wir über andere Möglichkeiten nach.“ Und davon gibt es reichliche. Wouter Mikmak veranschaulicht, warum wir bei Nutzungskonflikt im öffentlichen Raum mit der Straßenverkehrsverordnung keine Meter machen werden: „Ich sehe schon das Potential von Seiten der Skater:innen, das Gesetz ebenso auszuquetschen und damit die Absurdität aufzuzeigen, z.B. in Form von wöchentlich stattfindenden Wheelie[iv]– und Slalom-Protest-Sessions.“ Was dabei rauskäme: Ratlose Polizist:innen, die einschätzen müssen, bis wann Skateboarding als Fortbewegung gilt und ab wann es zum Trick wird.

Wie wollen wir zusammen leben?

„Eine Person, die sich beschwert, hat mehr Macht als 100 Menschen, die sich im öffentlichen Raum vergnügen.“ Kein Zitat könnte die Situation in Graz treffender beschreiben als jenes von Leo Valls, eines Skaters, der Bordeaux nach Jahren der Intoleranz zu einer skatefreundlichen Stadt machte. Das Trickverbot führt uns unweigerlich zu einer grundsätzlichen Frage: Wem gehört eigentlich der öffentliche Raum? Wer hat das Sagen? „Die Tendenz zu Kommerzialisierung, Überwachung, Kriminalisierung, Verdrängung usw. im öffentlichen Raum ist ein globaler Trend“, erklärt Wouter Mikmak. „Unter Städteplaner:innen gilt zwar schon lange nicht mehr der Top-Down-Planungs-Modus, sprich dass eine Elite entscheidet, was für alle darunter gut ist. Die Politik hinkt da allerdings hinterher. Tendenziell ist festzustellen, dass konservative Politik eher mit Verboten arbeitet und liberale Politik eher nach lösungsorientierten Konzepten sucht, um stadtplanerischen Problemen entgegenzutreten.“ Doch wem gehört die Stadt im materiellen Sinne? Wer steht sozusagen im Grundbuch der Flächen, auf denen wir uns bewegen? „Auf einer Seite gibt es die Stadtplaner:innen, die versuchen, Räume für alle nutzbar zu machen. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr private Eigentümer:innen mit eigenen Interessen. Die Stadt kann aber auf alle Fälle die Richtungvorgeben, in welche sie gehen möchte.“ Also wie wollen wir zusammen leben? Und welchen Platz sollen Skateboarder:innen und andere Subkulturen im öffentlichen Leben haben? Bei Kastner & Öhler gibt es Skateboards in allen Farben und Formen. Dazu die passende Skatemode. Fertiggeshoppt, ready to go! Aber nicht auf den Plätzen vor dem Kaufhaus. Skaten ist dort nämlich strikt verboten. Kameras überwachen das. Warum ich dieses Beispiel aus einem Interview mit Kulturarbeiterin Alexandra Riewe rund um Street Art herausgekramt habe? Es lässt einen erspüren, dass da irgendwas nicht zusammenpasst. Einerseits wird versucht, mit Skaten Geld zu machen, das Image des freien, verspielten und leicht rebellischen Skaters zu vermarkten. Andererseits wird eben diese Facette unterminiert. Vielleicht weil es nicht zu unserer Vorstellung des „richtigen“ Lebens passt? Die Stadt ist für viele von uns zweckgebunden. Wir suchen sie auf, um zu arbeiten oder zu konsumieren. Für manche ist sie außerdem Wohnort. Skaten bewegt sich abseits dieser Norm. Es ist Ausdruck von Freiheit. Das kann schon mal irritieren. Die Folge: Skater:innen sowie andere Gruppen von Jugendlichen werden häufi g als Bedrohung im öffentlichen Raum markiert. Räume werden geschaffen, in denen sie angemessenes Verhalten zeigen sollen – angemessen im Sinne der Erwachsenen. Angemessen also im Sinne eines After-Work-Aperolspritzers um 3,90 Euro am Kaiser-Josef-Platz, während der Fiat ums Eck parkt? – Etwas plakativ formuliert, ich weiß. Worauf ich hinausmöchte: Warum ist das eine okay und das andere nicht? Woher kommen unsere Vorstellungen, was angemessen ist? Weil Skaten nicht besonders konform ist, kratzt es an unserem gesellschaftlichen Bild einer „richtigen“ Lebensweise. Manche Skater:innen erfüllen wahrscheinlich das ein oder andere Klischee. Andere nicht. Darum geht es aber nicht. Sondern viel mehr um die Frage, wie wir mit ihnen umgehen wollen? Wie wir wollen, dass mit uns umgegangen wird? Mit dem Hammer draufzuhauen und Verbote zu verhängen, ist eine Möglichkeit. Aber ist sie auch sinnvoll? Anstatt das Problem zu lösen, verdrängen wir es – manchmal sogar nur um ein paar Meter, wie vom Erzherzog-Johann-Brunnen zum Billa- Eck. Und was geben wir dabei an Kinder und Jugendlichen weiter? „Lernt euch an Verbote zu halten, sonst gibt’s Konsequenzen!“ Während die Alternative so viel mehr Potential hätte: „Lernt, aufeinander Rücksicht zu nehmen, die Bedürfnisse eurer Mitmenschen nachzuvollziehen, Konflikte auszuhandeln und Kompromisse einzugehen!“ Ich erinnere mich an meine Mediations- Ausbildung zurück. Eine Phrase ist mir besonders deutlich in Erinnerung geblieben: „Wollen wir glücklich und harmonisch miteinander leben oder Recht behalten? Beides gleichzeitig geht nicht.“

 

I N F O: Um dieses Gesetz dreht sich aktuell alles: Straßenverkehrsordnung Paragraph 88. Spielen auf Straßen. (2) Spiele auf Gehsteigen oder Gehwegen und deren Befahren mit fahrzeugähnlichem Spielzeug und ähnlichen Bewegungsmitteln in Schrittgeschwindigkeit sind gestattet, wenn hierdurch der Verkehr auf der Fahrbahn oder Fußgänger nicht gefährdet oder behindert werden. […]

 

J U L I A  R E I T E R ist selbst mit dem Skateboard in Graz unterwegs – am liebsten im Skatepark im Grazer Volksgarten.

 

[i] Rundung in Halfpipes, Miniramps und Pools

[ii] Hindernis mit ebenmäßiger Kante

[iii] Straßengräben

[iv] Fahrweise, bei der nicht auf allen vier Rädern gefahren wird