Fotos: Peter Pataki
Pock auf Müll
Severin Pock aus Graz sammelt mit seiner Familie Abfall, der auf Straßen und in Parks liegen bleibt. Mindestens zweimal wöchentlich. Anfang des Jahres gründete Severin eine Müllsammelgemeinschaft. Daniela Rittmannsberger hat die Familie Pock auf einem Müllsammelausflug begleitet und einen erwachsenen Weltretter sowie einen siebenjährigen Umweltschützer kennengelernt.
Noah schnappt sich die Holzzange und legt los. „No time to waste“ steht darauf in schwarzen Buchstaben geschrieben. Ein Wortspiel. Vor der Haustür im grünen Innenhof findet der Siebenjährige nicht viel. Hier sammelt die ganze Familie regelmäßig den Müll auf, der herumliegt. Ein paar Kleinigkeiten wie eine lilafarbene Schokoladenverpackung entdecken sie trotzdem. Gemeinsam mit seinen jüngeren Geschwistern Liam und Mio und seinen Eltern Severin und Franziska sammelt der Bub seit Jahren den Müll auf den Straßen und im Park. Ausgestattet mit Müllzangen, Handschuhen und Sackerln. Seit Anfang des Jahres sind die Pocks damit nicht mehr alleine, denn: Severin gründete die Müllsammelgemeinschaft „No time to waste“.
Langer Atem. „Eigentlich wollte ich die Welt retten“, erzählt Severin Pock schmunzelnd. Gemeint ist damit sein Neujahrsvorsatz. Lange überlegt der 29-Jährige, was er machen könnte. Als Einzelperson die Welt zu retten, funktioniert nicht. Aber er wolle Leute motivieren, sagt er. Am 15. Jänner gründet Severin die Facebook-Gruppe „No time to waste“. Ob er damit Gleichgesinnte erreichen werde, weiß er nicht. Aber es funktioniert: Mittlerweile zählt die Gruppe mehr als 500 Mitglieder. Sie posten, wo sie unterwegs waren und wie viel Müll sie gefunden und gesammelt haben. Die meisten sind alleine unterwegs, erzählt der junge Mann. Das funktioniere im Alltag leichter. Die kleine Familie wandert weiter in einen kleinen Park. Bereits am Weg dahin finden Noah und Liam immer wieder interessante Dinge: Einen Überzug für einen Fahrradsattel, eine CD und jede Menge Verpackungen. Und auch der eineinhalbjährige Mio sammelt fleißig mit. Severin und Franziska achten stets darauf, dass die Sicherheit ihrer Kinder gewährleistet ist beim Müllsammeln. „Noah und Liam wissen bereits, worauf sie schauen müssen, und bei Mio passen wir besonders auf”, erklärt Severin. Restmüll kommt in das eine Plastiksackerl, Recycelbares in das andere. Angekommen im Waldstück, erzählt Severin, dass er hier schon „tausende Male“ sauber gemacht hat. „Als Müllsammler braucht man einen langen Atem“, sagt er. Es dauert oft lange, bis Menschen bemerken, dass hier jemand durchgeht, der den Müll wegräumt. Und sie sich überlegen, ob sie ihren Abfall vielleicht doch nicht achtlos wegwerfen.
Vorbildwirkung. Gefunden haben Severin und seine Familie schon alles Mögliche: Ein Rad in der Mur, einen Kindersitz im Wald, Stofftiere, Spielzeugdinosaurier. Aber auch ein Bügelbrett und ein Wäscheständer gehören zu jenen Dingen, die weggeworfen wurden. Und ein Kassettenrekorder. Macht es den Krankenpfleger wütend, dass er den Müll anderer Menschen wegräumt? „Nein. Ich lebe ein privilegiertes Leben. Dort, wo die Menschen sichtbar ärmer sind, ist auch die Vermüllung stärker. Auf engem Raum zu leben, bringt die Leute wohl dazu, ihren Müll wegzuwerfen.“ Er habe außerdem Zeit, fügt er hinzu, da er gerade in Karenz ist. Nur mit der Vorbildwirkung erreiche er die Menschen, sagt Severin. Aufklärungsarbeit betreibt er auch regelmäßig in seiner Facebook- Gruppe, dort aber erreicht er nur diejenigen, die ohnehin darauf achten. Am Rande des Weges im Park achtet Severin auch darauf, jedes noch so kleine Stückchen Müll aufzuklauben. Dieser Kleinkram sei am wichtigsten, sagt er. Denn es sind jene Dinge, die von Tieren versehentlich gefressen werden und die Umwelt belasten. Bleibt es liegen und fährt der Rasenmäher darüber, wird es zerhäckselt. Und irgendwann verschwindet es unter der Erde und zersetzt sich. Mikroplastik entsteht.
„Sie sind faul.“ Aufgewachsen ist Severin Pock in der Südsteiermark. Bereits in seiner Jugend beginnt er damit, den Abfall strikt zu trennen: „Ich bin nie einer gewesen, der den Müll einfach wegwirft.“ 2012 lernt er seine jetzige Frau kennen und zieht nach Graz. Egal, wo er hingesehen habe, er habe Müll gesehen, erinnert sich Severin. Er beginnt damit, den Abfall einzusammeln. Wird wirklich all das achtlos weggeworfen? „So mancher Vogel trägt sicherlich Müll weg und manches macht der Wind. Aber im Grunde sind es die Menschen an sich“, ist Severin überzeugt. Zweimal in der Woche ist er zurzeit unterwegs, um Müll einzusammeln. Meistens sind seine zwei ältesten Kinder, Noah und der vierjährige Liam, mit dabei. Noah ist der Umweltschützer der Familie. Und der hat seine ganz eigene Meinung, warum so viel Müll auf den Straßen und in Parks liegt: „Ich glaube, dass die Bürger_innen einfach zu faul sind und dass es ihnen zu kompliziert ist, den Müll wegzuwerfen.“ Er sammle gerne Müll, damit die Welt sauberer wird, sagt der Siebenjährige. Der halbe Kindergarten habe Bescheid gewusst, dass Noah Müll sammelt, erzählt Severin. Mit seiner Schulklasse möchte Noah selbst einmal Abfall aufspüren gehen. Seinen Kindern Müllvermeidung und Mülltrennung vorzuleben, ist Severin Pock extrem wichtig. Er möchte nicht, dass seine Kinder – die nächste Generation – irgendwann sagen, dass „wir schuld sind“, sagt er. Die Familie achtet daher auch in den eigenen vier Wänden darauf, Müll zu vermeiden. So wird der eineinhalbjährige Mio mit Stoffwindeln gewickelt, auf den Tisch kommen regionale Lebensmittel.
Mehr Aufklärung. „No time to waste” erreicht längst nicht nur Menschen in Graz. Aus ganz Österreich und Deutschland nehmen Interessierte an der Gruppe teil. Ein Mann gründete in Schwerte sogar einen Ableger der Gruppe in kleinem Rahmen. Und auch in Heidelberg formierte sich eine Gruppe an Müllsammlern. Sehr gemischt sei die Gruppe, erzählt Severin, die verschiedensten Menschen finden sich darin. Ein paar von ihnen kennt Severin auch persönlich. An seiner Laufstrecke entlang der Mur bemerkt er eines Tages, dass es plötzlich viel sauberer ist. Kurz darauf lernt er die Frau kennen, die hier regelmäßig ihre Runden dreht im Kampf gegen den Müll. Ist er mit seiner Familie im Park unterwegs, um Abfall zu sammeln, gesellen sich immer wieder andere Kinder dazu, die mithelfen. Begegnungen wie diese sind es, die Severin Hoffnung machen und motivieren. Mittlerweile ist die Familie wieder auf den Gehsteig gewechselt. In den kleinen Büschen finden Severin, Noah und Liam jede Menge Flaschen, Kaffeebecher, Dosen, Zigarettenschachteln – und sogar einen Kalender aus dem Jahr 2018. Den Restmüll wirft die Familie in öffentliche Mistkübel, den Rest in die Müllcontainer vor dem Haus. Es zahle sich aus, all die Flaschen und Dosen zu recyceln, sagt Severin. An jenem Tag finden die Pocks wenig. An manchen Tagen kommen bis zu sechs Säcke Müll zusammen. Für die Zukunft wünscht sich Severin, dass auch seitens der Politik mehr Aufklärung betrieben wird. „Warum reden wir nicht darüber? Man sollte das Problem so ansprechen, wie es ist.“ Die Verschmutzung der Meere sei hier nicht wirklich greifbar. Dabei trägt man auch in Österreich dazu bei, dass Müll im Meer landet: „Der meiste Müll gelangt über Flüsse ins Meer. Also auch jener Müll, der in der Mur oder in der Donau landet“, sagt Severin. Trotz allem ist der Steirer zuversichtlich – denn eines ist ihm aufgefallen: An der üblichen Runde durch den Park, die er mit seiner Familie dreht, wird bereits weniger weggeworfen. Es ist noch ein langer Weg – aber aufgeben kommt für Severin Pock nicht in Frage.
D A N I E L A R I T T M A N N S B E R G E R
war schon vor einigen Jahren Teil einer Müll-
sammelaktion in ihrem Heimatort Niederbach.