Fotos: David Ertl
„Ich bin einfach ein Geschichtenerzähler, der eine Haltung hat“
Wäre das Megaphon kein Straßenmagazin, sondern eine Band – es würde ähnliche Lieder schreiben wie Voodoo Jürgens. Nur vielleicht mit etwas mehr Migrationshintergrund. Grund genug für Peter K. Wagner und Sigrun Karre, den Liedermacher zu treffen. Und herauszufinden, warum kaum ein österreichischer Liedermacher aktuell so gehypt wird wie der 36-jährige Tullner, der eigentlich David Öllerer heißt.
Voodoo Jügens schreibt gerne Geschichten. Und zwar über jene, die vielleicht nicht so viel Glück im Leben hatten. Oft heißt es dann, seine Musik sei düster. Sein Künstlername, den er sich schon vor Ableben des großen Udo Jürgens verpasste, trägt zu diesem Bild bei. Apropos Bild. Wer Voodoo Jürgens zum ersten Mal sieht, stellt sich schnell die Frage, ob es sich um ein Gesamtkunstwerk in Verkleidung handelt oder einen authentischen Liedermacher. Wer Voodoo Jürgens persönlich trifft, weiß nach wenigen Sekunden, das Bild, das er nach außen trägt, lebt er. Der Dialekt ist derselbe, nur ein bisschen weniger überspitzt als in seinen Nummern, das Outfit ist nicht jenes von der Bühne später („I bin gar net in Panier, des is ma fost a bissl unangenehm”, sagt er, als wir ihn fotografieren), aber trotzdem fesch („Wo bekommst du dein Gewand?“ – „I bin vü auf Flohmärkte.“) und keine Sekunde haben wir auch nur annähernd das Gefühl, dass hier jemand des Erfolges wegen schon ein bisserl abgehoben ist.
Wie alle anderen Medien auch, die ihn seit 2016 interviewten oder porträtierten, gehen wir mit ihm in ein Lokal mit Beisl-charme. Das Café Wolf liegt nur unweit des Grazer Orpheums, wo Voodoo heute Abend mit seiner Band „Ansa Panier“ spielen wird. Einer der Betreiber des Cafés, der Musiker Rainer Binder-Krieglstein, sperrt extra für uns auf und erklärt das mit den einfachen Worten: „Man muss zusammenbringen, was zusammengehört.“
Voodoo Jürgens nimmt an einem Tisch Platz, freut sich, dass er ein Bier bekommt und eine Tschick rauchen darf – und wir haben irgendwie nicht mehr das Gefühl, dass wir hier den aktuell gehyptesten österreichischen Musiker zum Interview treffen, sondern gerade eine zufällige, sympathische Lokalbekanntschaft machen. Trotzdem wollen wir naturgemäß professionsgerecht ein paar Dinge von ihm wissen. Und wollen noch mitteilen, dass wir lange überlegt haben, ob wir versuchen, das gesamte Interview in authentischem Dialekt wiederzugeben. Als wir mit ihm allerdings ein bisschen über Eigen-PR und -Marketing sprachen, fiel folgendes Zitat, das uns davon Abstand nehmen ließ, denn immerhin soll sich ein authentischer Musiker auch authentisch wiederfinden können: „Es geht ma auf die Nerv’n, wann irgendjemond in mam Nomn wos postet und vor ollm sans a poa Moi auf die schwindliche Idee kumman, mein Dialekt nochzumachen. Des heart si donn owa imma genau net so o.“ Er hat übrigens gelacht, als er das erzählt, wie sehr oft in diesem Interview. Von wegen düster …
Voodoo Jürgens, du singst über Menschen, die üblicherweise alles andere als im Mittelpunkt stehen. Das erinnert uns an die Arbeit einer Straßenzeitung. Weil wir Menschen eine Plattform und Beschäftigung bieten, die oft nicht beachtet werden. Bei unserer redaktionellen Arbeit hinterfragen wir oft den schmalen Grat zwischen Sichtbarmachen und Sozialporno. Stellst du dir auch solche Fragen?
So etwas wird einem eher von Leuten unterstellt, die nicht aus dieser Ecke kommen. Diese Menschen glauben dann auch immer, sie müssen aufpassen, dass ich nicht jemanden ausstelle. Ich hab in Beisl’n gespielt, in denen nur solche Leute gesessen sind, über die ich singe, und diese Menschen haben sich nicht ausgenutzt gefühlt. Sie können ganz im Gegenteil etwas anfangen mit meiner Musik. Ich frag‘ mich oft: Wer passt da auf wen auf? Du bekommst schon zu hören, ob es O.K. ist oder nicht, was du machst. Ich hab‘ mich außerdem immer in die Lieder mitreingenommen, hab‘ mich nie geschont und eigene Dinge, die unangenehm sind, rausgetragen. Von dem her, kann man das meiner Meinung nach schon machen. Und richtig persönlich werd‘ ich bei keinem anderen Menschen. Es geht bei anderen meistens um verschiedene Geschichten, die zu einer verwebt werden.
Du warst in den vergangenen Jahren tatsächlich nicht nur in großen Städten zu sehen, sondern auch bei verhältnismäßig kleinen Veranstaltungen. Warum?
Für uns wäre es fad, wenn wir nur in Österreich den Kreis ziehen würden oder nur in Hauptstädten. Für uns ist es spannend, manchmal wo reinzukrachen, wo es nicht aufgelegt ist, dass wir spielen. Und wo ein Lied wie „Angst haums“ zum Beispiel reibt. Letztens waren wir in Saalbach bei einem Skihüttnfestl. An so einem Ort hat die Nummer die Wirkung, die angedacht war. Nicht jede/r im Publikum hat mit dem Inhalt zugestimmt.
„Angst Haums“ war die erste Songauskoppelung deines neuen Albums und beinhaltet Textzeilen wie „Angst haums, schert sich kana mehr wos, kehrt jo kana mehr vor der eigenen Tür“. Es ist sinnbildlich für die Art und Weise, wie du politisierst. Zwischen den Zeilen und sehr subtil. Warum gehst du diesen Weg?
Ich hab eine politische Meinung, aber wollte nie Lieder schreiben, die jemandem erklären, wie es richtig ist. Ich glaube nicht, dass es die eine Lösung gibt. Es ist komplex und was ich machen kann, ist, dass ich Positionen zeige und vielleicht ergibt sich aus dem heraus eine Stimmung oder Tendenz, was meine Meinung ist. Bei „Angst haums“ ist es eindeutiger, ja. Auch wenn es bei „Auf der Stroßn“ (Anm. d. Redaktion: Lied aus dem ersten Album) auch schon drinnen war ein bisschen. Meine Haltung flackert immer ein bissl auf. Die meisten Reaktionen hab‘ ich übrigens bekommen, als ich in der ARD einen Auftritt hatte und auf meiner Gitarre ein Antifasticker zu sehen war. Da kamen dann sogar ein paar E-Mails, in denen „Verrecke!“ stand.
Ist Voodoo Jürgens Sprachrohr?
Es ist schnell politisch. Wenn man auf der Bühne steht und Sachen sagt – dadurch allein wird etwas politisch, aber als den politischen Liedemacher würde ich mich nicht bezeichnen. Ich bin einfach ein Geschichtenerzähler, der eine Haltung hat, stelle diese Haltung aber nicht so in den Vordergrund.
Aber du hast etwa einmal klar gegen den Zwölfstundentag Stellung bezogen.
Prinzpiell muss es drinnen sein, dass man was sagt, wenn einem etwas auf die Nerven geht. Das kann auch dazu führen, dass man hört: „Der Sänga sui sei Gosch’n holt’n und afoch spün.“ Man sollte sich vor solchen Reaktionen nicht scheuen, aber der eine Künstler hat das Bedürfnis mehr, der andere weniger. Eine Steffi Sargnagel etwa hat es intus. Darüber hab‘ ich mit ihr auch einmal geredet. Sie meinte, ich solle es mehr tun. Aber das ist nicht in mir drinnen. Aber natürlich gibt es gewisse Zeiten, die es auch mehr erfordern, etwas zu sagen. Die Frage ist auch: Wo wendet man Kritik an? Wenn ich das vor Menschen mach‘, wo ich davon ausgehen kann, dass die alle etwa ähnlicher Meinung sind, bringt es wenig. Aber es gibt Momente – wie bei dem angesprochenen Auftritt in Saalbach – wo es Sinn macht, sich zu positionieren.
Künstler wie du werden gerne mit anderen aktuell erfolgreichen österreichischen Bands wie Wanda verglichen. Du hast einmal gesagt, es wäre nie dein Plan gewesen, so groß wie Wanda zu werden. Aber wie groß kann Voodoo Jürgens werden?
Nein, Wandalevel haben wir nicht. Es war interessant, diese Mehrzweckhallen als Support zu sehen, aber aus dem heraus war mir klar, dass ich das nicht anpeile. Es wird dann anonymer, man hat mit den Leuten nix mehr zu tun. Es sind viele Securities und man ist von allem abgegrenzt. Und trotzdem ist es irgendwie ja auch spannend, wie weit man es mit dieser Art Musik treiben kann. Die zweite Platte ist jetzt nicht absichtlich so gemacht worden, dass ich ein noch größeres Publikum erreiche, für uns war es der nächste Schritt und ich find‘ nicht, dass sie wesentlich poppiger ist als die erste Platte. Mich verwundert es einerseits, dass es auch in Deutschland funktioniert. Vielleicht ist das aber so wie mit englischer Musik, wo die Leute auch nicht immer alles verstehen, aber Wortfetzn sind dabei, an denen man sich festhalten kann.
Deine Geschichten sind auch oft Geschichten von dir. Bestes Beispiel ist „Tulln“ von deinem ersten Album über deine Kindheit in deiner Heimatstadt. Wie geht es dir damit, so persönlich zu sein?
Wenn ich es grob für alle geschrieben hätte, hätte es nicht den gleichen Effekt gehabt. Ich glaube daran, dass man eine Geschichte im Kleinen besser für alle erzählen kann, als wenn ich versuche, Sätze zu transportieren, die für alle gelten. Die Geschichte in Tulln ist mein kleines Schicksal und es funktioniert wahrscheinlich, weil es auch in einem kleinen Kaff in der Steiermark so ähnlich war. Es gab aber auch Reaktionen von Menschen, die diese Geschichte gar nicht glauben konnten. Ich bekam viel Mitleid, was die Nummer nicht bezwecken will. Das ist halt einfach so gewesen. Ich hab’ auch nicht voll arg darunter gelitten, so ist meine Kindheit halt gewesen.
So ist es halt gewesen. So unaufgeregt und geerdet Voodoo Jürgens das erzählt, erzählt er seine liedgewordenen Geschichten auf der Bühne. Nur kurze Zeit nach unserem Gespräch zum Beispiel auf der Bühne des Grazer Orpheums. Und nach dem Konzert zeigt er sich im Publikum. Nix Wanda eben, sondern Voodoo Jürgens. Er taucht in die Menge. Und viele wollen mit ihm ins Gespräch kommen. Er ist dort nicht, weil er sich feiern lassen will. Er will unter den Menschen sein. Dort, wo seine Geschichten warten, die schon bald zu Liedern werden könnten.