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Grundlegend versorgt: 20 Jahre Sicherheit für Schutzsuchende
Seit 2004 bietet die Grundversorgung Menschen im Asylverfahren in Österreich ein sicheres Netz. Vor 20 Jahren löste sie die „Bundesbetreuung“ ab und brachte bahnbrechende Veränderungen mit sich: Erstmals mussten Schutzsuchende nicht mehr ausschließlich auf karitative Organisationen
vertrauen, sondern erhielten einen festen Rechtsanspruch auf Versorgung. Grund genug, bei Betroffenen nachzufragen.
Milan* sitzt vor seiner leeren Kaffeetasse. Er wirkt zu groß für den kahlen Raum. Seine Hände zupfen am schwarzen „Sportsfighter“-T-Shirt. Seine wachen blauen Augen huschen zwischen mir und Berat Ibriqi (Leiter der Caritas-Flüchtlingsunterbringung) hin und her, während er spricht. Berat übersetzt für ihn. Meine Fragen versteht Milan auch auf Deutsch, schließlich lebt er seit knapp 20 Jahren in Österreich. Um Missverständnisse zu vermeiden, haben wir Berat als Dolmetscher dazugeholt. Über die schwere Vergangenheit spricht man leichter in seiner Erstsprache.
Auf festem Grund
Seit Mai 2004 bietet die Grundversorgung in Österreich ein wichtiges Sicherheitsnetz für Asylwerber:innen, subsidiär Schutzberechtigte und Asylberechtigte (bis vier Monate nach ihrer Anerkennung). Voraussetzung für den Erhalt der Grundversorgung ist, dass diese Personen ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können. Am 1. Januar 2024 waren 78.834 Menschen in Österreich auf die Grundversorgung angewiesen. Milan ist einer davon. Er lebt in einer Caritas-Unterkunft in Radegrund. Als er 2004 nach Traiskirchen ins Erstaufnahmezentrum kam, wurde er nach Graz vermittelt. „Seit 2005 ist er jetzt in Grundversorgung“, übersetzt Berat. Warum bist du denn überhaupt nach Österreich gekommen? Die Frage fühlt sich zu persönlich an, ich bin fast ein bisschen froh, dass Milan nicht mir in die Augen schaut, als er auf Serbisch zu erzählen beginnt.
Als frisch ausgebildeter Unteroffizier flieht Milan 1991 vor Ausbruch des Jugoslawienkrieges nach Deutschland. Er wollte nicht kämpfen. Nach der Abschiebung in sein Herkunftsland muss er seine Flucht vor dem Militärgericht rechtfertigen. Die Wehrpflicht nicht zu erfüllen, endete für ihn in einer lebenslangen Haftstrafe. Amnestie, also Straferlass oder -milderung, gibt es nur für Soldaten und die Reserve, nicht für Unteroffiziere. Er flieht nach Österreich und stellt hier einen Asylantrag. Dieser wird genehmigt.
Ein neues Leben
Wie lebt es sich in Grundversorgung? Reicht das Geld aus? „Ja, selbstverständlich“, sagt Milan. Berat fügt hinzu: „Das meint er ironisch.“ Hätte ich auch so verstanden. Wer Grundversorgung bezieht, bekommt in der Steiermark derzeit 5 Euro pro Tag und 40 Euro Taschengeld pro Monat zur Verfügung gestellt. Zweimal im Monat wird ausgezahlt. „Wenn du sparsam kochen kannst, geht sich das aus“, sagt Milan. Im Rahmen der Grundversorgung in Österreich gibt es zwei Formen der Unterbringung: die organisierte und die private Unterbringung. Bei der organisierten Unterbringung wird den hilfsbedürftigen Personen ein Wohnplatz in einem Quartier zugewiesen, das vom Bund oder dem jeweiligen Land bereitgestellt wird. Bei der privaten Unterbringung suchen sich die Betroffenen selbst eine Unterkunft und erhalten dafür finanzielle Unterstützung zur Miete, oder Privatpersonen stellen ihnen Wohnraum zur Verfügung. Ende 2023 lebten österreichweit 37.350 Menschen in organisierten Unterkünften und 41.497 in privaten. Die Steiermark verzeichnete dabei die meisten Personen in organisierter Unterbringung.
Milan wünscht sich, in einer Wohnung zu leben. „Aber dafür würde mein ganzes Geld draufgehen“, sagt er. Einmal hätten sie in seiner Unterkunft Unterschriften gesammelt, um für mehr Geld in der Grundversorgung anzufragen. Milan hat damals seinen Namen nicht auf die Liste setzen wollen. Zu groß war seine Angst, mit seinem Klarnamen aufzuscheinen. Ob er denn zusätzlich arbeiten würde, um sein Leben finanzieren zu können? „Mit über 60 einen Job zu finden war schwierig. Ich habe auf einer Baustelle gearbeitet, aber mir am ersten Tag das Bein gebrochen.“ Mit den Folgen und Auswirkungen kämpft er noch heute. Nach einigen Operationen bleiben die Schmerzen und er damit arbeitsunfähig. „In Wien bekommen Menschen mit subsidiärem Schutz, wie Milan, Zuzahlungen. In der Steiermark nicht“, sagt Berat, der sich über den unfairen Föderalismus ärgert. Googelt man „Grundversorgung Österreich“, poppen die Seiten der Bundesländer auf. Land Steiermark: „Grundversorgung von AsylwerberInnen“, Wien: „Grundversorgung für geflüchtete Menschen“, Land Oberösterreich: „Grundversorgung von Fremden (Asylwerbenden)“, Land Niederösterreich: „Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde“. Schon das Wording lässt auf Ungleichheit schließen. Berat: „Es gibt wohl kein Gesetz, das öfter novelliert wurde als das Asylgesetz. Auf eine finanzielle Anpassung warten wir bis heute.“
Wer darf denn?
Anspruch auf Grundversorgung haben laut dem Land Steiermark Asylwerbende, solange das Verfahren läuft. Asylberechtigte haben während der ersten vier Monate nach Asylgewährung Anspruch auf Grundversorgung. Personen, die aus rechtlichen und faktischen Gründen nicht abschiebbar sind, haben ebenfalls Anspruch darauf, wenn sie den Lebensbedarf für sich und ihre mit ihnen im gemeinsamen Haushalt lebenden unterhaltberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen können und ihn auch nicht oder nicht ausreichend von anderen Personen oder Einrichtungen erhalten.
Blend Kafexholli setzt sich zu uns an den Tisch. Als Kollege von Berat arbeitet Blend in der Flüchtlingsunterbringung in Graz, St. Peter. Nach seinem Zivildienst bei der Caritas blieb er und war als Betreuer tätig. „In einer Unterkunft hilft man den Bewohner:innen vor allem bei Terminvereinbarungen mit Behörden oder Mediziner:innen. Meine Nachtschichten habe ich oft mit Deutsch-Nachhilfe verbracht“, erinnert er sich. Auch die Haustechnik und Anwesenheitsüberprüfungen fallen in den Aufgabenbereich von Betreuungspersonen. Einmal täglich müssen die Einwohner:innen ihre Anwesenheit mit einer Unterschrift bezeugen. Ansonsten verlieren sie ihren Wohnplatz. Für Minderjährige gibt es 24-Stunden-Betreuung. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) werden im Rahmen der Grundversorgung in speziellen Einrichtungen mit erhöhten Betreuungsmöglichkeiten untergebracht.
Wunschzettel
Angesichts vielfältiger rechtlicher und praktischer Herausforderungen ist nach zwei Jahrzehnten der Zeitpunkt gekommen, den nächsten Meilenstein zu setzen: Die in der Grundversorgung tätigen Organisationen der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG) präsentierten auf einer gemeinsamen Pressekonferenz Lösungsansätze für eine umfassende und österreichweite Reform der Grundversorgung im Asylverfahren. Dringend erforderlich sind „ausreichende Unterbringungskapazitäten, die Bereitstellung geeigneter Unterkünfte, ein geregelter Übernahmeprozess zwischen Bund und Ländern, bundesweit einheitliche Betreuungs- und Beratungsstandards, eine kostendeckende Finanzierung für eine menschenwürdige Unterbringung und Betreuung, Integration ab Tag 1 sowie leistbare Mobilität.“
Milan ist sich sicher, dass eine Erneuerung der Gesetzeslage dringend notwendig ist. „Wenn du flüchtest, willst du einfach nur ein ruhiges Leben führen. Österreich ist jetzt mein Zuhause. Nicht alle Geflüchteten sind kriminell – sicher gibt es immer schlechte Menschen, aber alle in einen Topf zu schmeißen, ist nicht fair.“ Mit Blick auf die anstehenden Wahlen und den Rechtsruck in ganz Europa blickt er besorgt in die Zukunft. Auch Berat und Blend können den Kopf bei Forderungen wie „Sozialleistungen kürzen“ nur schütteln. Ihn in den Sand zu stecken, ist keine Option. Berat: „Wir lassen uns überraschen.“
Wir verabschieden uns. Milan kramt seinen Pass heraus und zeigt ihn mir stolz. „Fremdenpass“ steht darauf. Er ist braun, nicht weinrot, wie der österreichische Reisepass. Ob er sich denn vorstellen kann, irgendwann mal wieder nach Serbien zurückzukehren? „Nicht mal als Tourist für einen Tag!“
*Milan heißt eigentlich anders. Zur Wahrung seiner Anonymität haben wir seinen Namen geändert.
NADINE MOUSA hat sich in der Juni-Ausgabe 2023 mit der Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen beschäftigt.