GEDANKEN

…zur Krise

Seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie wird suggeriert: Wir sitzen alle im selben Boot. Ein Blick in die unterschiedlichen Lebensrealitäten der Menschen zeigt: Dem ist ganz und gar nicht so.  Unterschiedliche Gedanken, „Werkzeuge“ und Erfahrungen in Bezug auf die Krise veranschaulichen wie bunt unsere Gesellschaft ist.

Ulrike Flakus (12)

„Am Anfang habe ich mir nicht viel gedacht. Was ich nur gewusst habe, waren die Infos aus China. In den Tagen vor dem Lockdown waren dann die Hamsterkäufe im Mittelpunkt und dann noch die vielen Meldungen, wie sich das Virus verbreitet. Eine meiner Freundinnen, wurde immer nervöser. Den Freitag vor dem Lockdown hat dann meine Arbeitskollegin als Kriegsbeginn bezeichnet. Es war eine schlimme, mysteriöse Stimmung in unserer Firma.

Die Pandemie wurde dann auf der Hotline ernst, daheim fühlte ich mich eingesperrt, mich von allem, was mir lieb war und ist, beraubt. Kein Vortrag mehr, keine Kurse, keine Leute mehr treffen, auch keine Ausflüge über das Wochenende. Nichts. Auf der Straße mehr Polizei und Ordnungswachen als Menschen. Die Straßen einfach leer. Der Luftraum ruhig. (Bei dem Haus, in dem ich wohne fliegen sonst immer die Flugzeuge herein.) Sehr wenige Autos auf den Straßen. In der Nacht war endlich einmal Durchatmen und Durchschlafen angesagt. Ein wohliges Gefühl, wenn man an einer verkehrsreichen Straße wohnt. Dafür aber Polizei überall, im Gleichmarsch. Am Bauernmarkt die Ordnungswache. Im Bus oft ich allein mit dem Fahrer. Und dazu die Hitze, die wir im April gehabt haben. Im April auch die Ordnungswache in der Bim.

Ich wollte einmal raus, nur wohin fahren, damit ich spazieren gehen kann. Mein Kollege wiegelte ab, nein! Ich durfte keinen Bus für einen Spaziergang verwenden. Es begann immer mehr zu drücken.  Ich ging fast täglich einkaufen, mied alle Supermärkte, da diese die bargeldlose Zahlform beworben. Ich mag da nicht mitmachen, also ging ich zu kleinen Geschäften und Bauernmärkten. Bei uns auf der Hotline redeten wir schon von einem großen Stromausfall und die dazugehörigen Folgen. Mein Radius schränkte sich ein, der Zettel mit den Buszeiten an den diversen Haltestellen war immer griffbereit für mich da.  Daheim las ich die dicken Bücher aus und die sind noch nicht genug. In Bus und Bim las ich die dünnen Bücher, wenn ich nicht gerade zu Fuß unterwegs bin. Ansonsten tüftelte ich noch über diversen Sudokus.

Was mir aufgefallen ist, auf der Hotline, die ich betreut habe, aber auch im Bus. Jeder hat auf den anderen gezeigt. Jeder wusste, wo der Fehler beim Anderen ist. Gerade ältere Herrschaften haben angerufen und wollten, das Eine oder Andere beanstanden oder anzeigen. Auch im Bus wurde mit dem Finger auf andere gezeigt. Das hat sich bis heute nicht geändert. Während die Propaganda war, dass wir zusammenhalten sollen, wurde auf alle anderen gezeigt. Das war nicht mehr schön. Der Abstand wurde eingehalten, dann aber doch nicht.

Was mir auch aufstößt, sind die Berge an Müll. Diese Einweg-Schutzmasken sind im Endeffekt Müll. Müll, der auch auf der Straße zu liegen kommt. Ich hoffe sehr, dass wir bald vollständig über diese Sache drüber sind. Ich merke, dass wir nicht mehr viel mitmachen wollen, manche tragen keinen Schutz mehr, die Drängerei fängt wieder an. Dafür haben wir unendlich viele arbeitslose Menschen, die nun einen Anlass zur Beschimpfung geben. Alles in allem, glaube ich, haben wir nicht wirklich viel aus der Krise gelernt.“

Ulrike Flakus ist langjährige Stammhörerin der MegaphonUni. Sie arbeitet in einem Call Center und ist „Kettenbuchleserin“.

Sigrun Karre (11)

„Am 1. Juli rufen österreichische Künstler_innen zum Schweigemarsch am Wiener Ring auf. Um Fair Pay geht’s da unter anderem und um ein eigenes Ministerium. Wer aber sind DIE Künstler_innen? Das lässt sich nicht in einem Satz erklären. Immerhin sprechen wir hier von einer „Berufsgruppe“, die quasi das Copyright auf Individualität, temporäres Einzelgängertum und Pionierarbeit für sich beansprucht. Genau das war bisher aber auch eine der Ursachen ihrer existentiellen Probleme. Durch die Corona-Krise machten sich Künstler_innen vermehrt sichtbar und organisierten sich. Nicht zuletzt, weil sie die Ersten waren, die der Lockdown mit voller Wucht traf. „Die Ersten werden die Letzten sein“ bringt die als ungerecht empfundene Situation vieler Künstler_innen in Hinblick auf die Corona-Verordnungen auf den Punkt, der daraus entstehende Unmut hat Staatssekretärin Lunacek politisch den Kopf gekostet.

Dass Künstler_innen aber auch die Ersten waren, die flexibel und kreativ auf die veränderte Situation reagierten, zugleich auch vermehrt gesellschaftskritisch Stellung bezogen und sich inhaltlich mit der Krise auseinandersetzten, mag das Klischee von den im Elfenbeinturm wohnhaften Künstler_innen in so manchen weniger kunstaffi nen Köpfen verworfen haben. „Kunst ist Hobby“, der Spruch ist so banal wie inhaltlich unwahr, deutet aber zumindest treffend an, dass ein Großteil der Künstler_innen auch im 21. Jahrhundert traditionell an bzw. unter der Armutsgrenze lebt und in der neoliberalen Leistungsgesellschaft ein Imageproblem hat, während Kunst und Kultur – Achtung: Widerspruch – grundsätzlich der Imagepfl ege dienen. Vielleicht hat die coronabedingte „Kunstlücke“ aber auch erstmals einem größeren Teil der Bevölkerung sichtbar gemacht, was uns fehlt, wenn uns eigentlich eh nichts fehlt: der essentielle Luxus Kunst.

Derzeit stehen wir als Menschheit gefühlt verkatert ohne Führerscheinprüfung am Beginn der Grünphase an einem maximal nebligen Novembertag mit platten Reifen an einer höchst unübersichtlichen Kreuzung. Stöbert man ein wenig in der Geschichte, wird (leider oft aus Ignoranz erst rückblickend) die seismographische, häufi g visionäre Rolle von Künstler_innen in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche sichtbar. Wenn es brenzlig wird, sollte man gerade nicht bei der Kunst sparen. Unabhängig davon, ob sich ihr Output als Event oder Tourismusattraktion verkaufen lässt und was sie kostet: Gerade weil die Kunst für nichts zu gebrauchen ist, brauchen wir jetzt und eh immer die Kunst.“

Sigrun Karre ist Megaphon-Redakteurin, hat selbst Kulturprojekte begleitet und kennt viele Protagonist_innen der Szene.

Foto: Edi Haberl

 

Julia (10)

„Pandemie – ein Wort, das ich noch nie in den Mund genommen habe und plötzlich wird über nichts anderes mehr gesprochen! Ich bin ein durchaus positiver Mensch. Mein Glas ist immer halbvoll und das Gras auf meiner Seite ist immer grüner. Deshalb habe ich mir zu Beginn der Krise noch keine großen Sorgen um unser Wohlergehen gemacht. Wir scherzten noch über Hamsterkäufer: „Wenn die Apokalypse kommt, wird Klopapier und Mehl unser aller Leben retten“. Man hörte hier und da etwas von dem neuen Virus, aber das ist doch so weit weg. Nicht im gelobten Land Europa! Immun gegen jede Epidemie.

Doch plötzlich stand eine ausgewachsene Pandemie vor der Tür. Wir sind gerade zum ersten Mal Eltern geworden. Unser Sohn war erst 3 Monate alt und in den Medien wurde nur noch von Massensterben und völliger Überlastung der Gesundheitssysteme berichtet. Spekulationen und Vermutungen überall. Wirklich wissen tut niemand etwas. Mir wurde mulmig. Als im März unsere Regierung die ersten Maßnahmen bekannt gab, war klar, dass es sich nicht um eine durch Medien gepushte Hysterie handelt. Die Lage war ernst.

Lockdown – noch so ein Wort, das ich noch nie benutzen musste. Mit den Worten „Wir wissen nicht, ob die Firma das übersteht“ schickte man meinen Freund in Kurzarbeit. Überhaupt nicht beunruhigend, wenn man gerade ein Haus renoviert und eine kleine Familie gegründet hat (Sarkasmusschild hier einfügen). Dennoch fühlte ich mich sicher in unserer selbstauferlegten Isolation, denn zusätzlich zum gesetzlichen Hausarrest wurden auch zuhause neue Regeln aufgestellt. Einkaufen nur mit Gummihandschuhen, Desinfektionsmittel liegt im Auto bereit, Spaziergänge sind erlaubt, aber wenn wir auf Personen treffen, wird eine Straßenbreite Abstand gehalten. Ich habe noch nicht so viele Babyelefanten getroffen, aber das wird schon reichen. Nicht einmal die benachbarten Freunde werden besucht. „Nein, auch nicht auf ein Bier mein Schatz!“, sprach ich ein leicht angsterfülltes Machtwort aus.

Ich wurde tatsächlich zum zuvor belächelten Hamsterkäufer und legte mir drei Packungen Nudeln und ein bisschen mehr Fleisch als üblich in den frisch desinfizierten Einkaufswagen. „Sicher ist sicher“, dachte ich mir. Ich hatte keine Angst, dass die gefühlt 75 Supermärkte in der Umgebung nichts mehr in den Regalen haben könnten, aber ich wollte nicht, dass wir mehrmals wöchentlich durch die vermeintlich coronaverseuchten Gänge der Lebensmittelgeschäfte streifen müssen. Und so haben wir uns mit unseren Reservenudeln regelrecht verschanzt. Mein sonst so positiver Geist hatte Sendepause.

Wir hatten großes Vertrauen in die Regierung und haben uns von den politischen Diskussionen wegen der einen oder anderen Regel nicht verunsichern lassen. Wir handelten so, wie wir es für unsere Familie richtig hielten. Doch die tägliche Konfrontation mit steigenden Zahlen und wagen Prognosen machte uns unsicher. „Einfach aussitzen!“, dachte ich, „Aussitzen und unseren Beitrag leisten!“.

„Isolation is not good for me!“, trällerte ich Fools Gardens Lemon Tree vor mich hin. Wir versuchten dennoch das Beste aus der Situation zu machen (da war wohl doch noch ein bisschen positiver Geist im Spiel). Wir lebten langsamer und bewusster. Wir kochten und aßen gemeinsam, ohne Hektik. Mein Freund genoss die gemeinsamen Vater-Sohn Stunden. Ein Privileg, das diese unwirkliche Zeit mit sich brachte. Die Wertschätzung für regionale Produkte und das Landleben wurde größer und ich lernte sogar noch etwas über mich selbst. So weiß ich jetzt, dass ich mit einer Papierschere einen halbwegs passablen Herrenhaarschnitt hinbekomme. Das ist doch was!

Familie und Freunde fehlten uns, doch auch wir haben uns in Videocalls ausgetauscht. Obwohl wir auf keiner sozialen Plattform einen Screenshot davon gepostet haben, haben sie dennoch stattgefunden. Nach einigen Wochen Heimquarantäne wurden die Prognosen positiver und mit ihnen auch wir. Und nun werden schon die ersten Lockerungen vollzogen und wir wagen uns wieder mutig unter Menschen. Ist es überstanden? Haben wir es ausgesessen? Zuversicht keimt auf. „Uns wird diese Zeit noch fehlen“, meinte mein Freund beim Frühstück. Ja vielleicht. Aber die Hoffnung bleibt, dass diese Pandemie ähnlich wie Fools Gardens Lemon Tree, ein One Hit Wonder bleibt!“

Julia wurde kurz vor der Pandemie zum ersten Mal Mama. Sie ist eine geborene Frohnatur und versucht dem Leben in all seinen Facetten stets positiv gegenüber zu treten.

Hanno (9)

„Am Anfang fand ich es lustig, dass meine Mama mit mir zu Hause lernt, so konnte ich sie den ganzen Tag sehen und länger schlafen und mit Mama Pokemon im Wald spielen und Malefiz und Uno und Quiz. Aber dann habe ich meine Freunde immer mehr vermisst, ich habe nur meinen Bruder, die Mama und den Papa gesehen. Und den Mann durchs Fenster, der uns einmal die Pizza gebracht hat. Mit meinem Bruder habe ich dann mehr gestritten, der wird im Herbst 15 und spielt nicht mehr so oft mit mir, sondern ärgert mich. Und ich bin müde geworden, weil mir langweilig war und das Lernen hat mir keinen Spaß mehr gemacht. Ich habe mit meinen Freunden telefoniert und geskypt, aber da haben wir nicht so genau gewusst was wir sagen sollen, weil wir ja nicht viel erlebt haben und wir waren auch ein bisschen schüchtern. Aber trotzdem war es schön. Die Stoffmaske, die mir meine Mama gegeben hat, fand ich sehr cool, weil man sie auf beiden Seiten tragen und gut Räuber oder Agent damit spielen kann, aber wenn man etwas anderes spielt, ist sie lästig. Wenn ich noch länger Maske tragen muss, hätte ich gerne eine Schwarze mit Haifischzähnen.

Dann durfte ich ein paar Vormittage zur Betreuung in die Schule gehen. Da habe ich endlich wieder Kinder getroffen und das Lernen war viel lustiger. Nur leider war meine Klassenlehrerin nicht dort, die ist nämlich die allerliebste Lehrerin der ganzen Schule und wirklich saugut. Auch meinen Buschauffeur hab ich wieder getroffen, der fährt mit einem kleinen Bus, kennt alle Kinder beim Namen und wenn ein Kind Geburtstag hat, dann macht er im Bus ein blaues Licht an.

Ich glaube die Erwachsenen erfinden viele Regeln, weil sie Angst haben. Wegen Corona haben sie noch mehr Regeln erfunden, aber die helfen auch nicht so gut gegen die Angst. Wir Kinder haben nicht so viel Angst und wenn wir die Regeln der Erwachsenen vergessen, dann schimpfen sie, weil sie Angst haben, dass wir sie mit dem Virus anstecken. In der Vormittagsbetreuung in der Schule musste man Mundschutz tragen, wenn man zur Schule geht. Dann musste man Hände waschen. Nur, wenn man auf seinem Platz in der Klasse saß, durfte man den Mundschutz abnehmen. Und man musste einen Meter Abstand halten zu den anderen Kindern. Das sind 100 Zentimeter. Wir wissen aber nicht auswendig wie viel ein Meter ist und abmessen können wir das auch nicht jedes Mal. In den Klassen waren nur 5 Kinder und eine Lehrerin. Sonst sind wir 23 Kinder. In der Hofpause im Garten mussten wir auch Mundschutz tragen, da wurde mir sehr heiß beim Laufen und ich bekam nicht so gut Luft durch die Stoffmaske. Mit der Maske aus dem Supermarkt bekomme ich besser Luft. Aber die muss man nach einmal tragen wegwerfen und das ist schlecht für die Umwelt.

Fangen spielen durften wir nicht. Verstecken auch nicht. Meistens spielten wir Merkball, weil da hat man genügend Abstand und schießt sich mit dem Ball ab. Einmal habe ich meinem Freund beim Spielen im Garten auf die Schulter geklopft, da musste ich dann die restliche Hofpause zur Strafe sitzen und durfte nicht mehr spielen, weil wir uns ja nicht berühren dürfen. Das fand ich blöd. Weil ich glaube nicht, dass ich meinen Freund mit meiner Hand über den Pullover mit Corona angesteckt habe. Manche Lehrer waren früher nett und sind jetzt auch ganz gleich nett, manche sind jetzt schlechter gelaunt und manche waren immer schon ein bisschen schlecht gelaunt. Eine Religionslehrer ist sehr streng mit den neuen Regeln, vielleicht glaubt sie nicht so stark an Gott, wenn sie so Angst vor Corona hat. Eine Lehrerin hat meinen Freund ermahnt, dass er eine Maske aufsetzen muss, wenn er mit ihr spricht. „Du hast aber auch keine Maske auf, Frau Lehrerin“ hat er zu ihr gesagt. Und das hat gestimmt. Dazu hat sie nichts gesagt. Endlich beginnt heute wieder die richtige Schule und der Hort. Ich freue mich sehr darauf meine Freunde und meine Lehrerin wieder zu sehen. Es wird noch ein paar neue Regeln geben, weil wir jetzt wieder mehr Kinder sind und die Klasse wird in zwei Gruppen geteilt. Ich hoffe, dass wir bald wieder weniger Regeln befolgen und beim Spielen nicht mehr so viel nachdenken müssen und dass wir bald wieder Turnen dürfen. Das ist nämlich neben Lesen mein Lieblingsfach.“

Hanno ist 8 Jahre alt und geht in die 2. Klasse Volksschule in Graz.

Tarek (8)

„Ich liebe es Sport zu machen. Rollerskaten, Fußball, Fahrradfahren. Auch am 30. März war ich im Volksgarten zum Fußball spielen – wie immer mit meinen beiden Freunden. Sie sind Asylwerber – genau wie ich – und haben deswegen viel Zeit. Ich wusste, dass man sich an der frischen Luft bewegen darf. Der Sportplatz war nicht abgesperrt. Wir haben ohne Kontakt mit mehr als drei Metern Abstand den Ball umhergepasst. Und trugen dabei sogar Handschuhe. Dann kam die Polizei. Sie erklärte uns, dass es verboten ist auf dem Sportplatz zu sein. Wir haben ihnen gesagt, dass wir uns eh informiert haben aber nichts von der Sportplatzsperre wussten. Wir verstehen die Coronagesetze auf Deutsch nicht so gut. Zeitung haben wir auch keine. Außerdem dachten wir, wir konnten uns eh nicht anstecken. Wir haben ja nur mit den Füßen gespielt… Und überhaupt: Wir waren ja gesund. Der Polizist war nett. Er meinte aber, dass sei sein Job. Er muss das machen. Dann habe ich ihn gefragt, wie ich die Strafe bezahlen soll. Ich darf ja kein Geld verdienen. Er hat mich beruhigt. Ich würde nur eine kleine Strafe bekommen. Nicht mehr als 100 Euro.

Nach der Kontrolle bin ich mit einem meiner Freunde zum türkischen Laden ums Eck gegangen. Als wir herauskamen, war da wieder die Polizei. Sie haben uns aufgehalten. Ich sagte, dass wir nur zusammen einkaufen waren. Sie meinten, das geht überhaupt nicht. Das ist verboten. Sie haben uns angezeigt. Bei dem Gedanken daran muss ich lachen. Zwei Strafen zur gleichen Zeit! Ein paar Tage später habe ich Post bekommen. 600 Euro fürs Fußballspielen. 600 Euro fürs Einkaufen. 1.200 Euro zahlen. Oder 4 Tage lang ins Gefängnis gehen…

Mein Name ist Tarek. Ich bin 23 Jahre alt und komme aus dem Irak. Vor fünf Jahren bin ich mit meinem kleinen Bruder nach Österreich gekommen. Wir wohnen in einem Flüchtlingsheim in Graz und bekommen beide 150€ „Taschengeld“. Davon können wir nicht richtig leben. Ein bisschen essen und fertig. Außerdem muss ich für meinen Bruder oft Dinge bezahlen. Er geht in die Schule. Da fallen oft Kosten für Ausflüge und so an. Alle paar Wochen krieg’ ich einen Anruf von der Lehrerin, damit ich meinem kleinen Bruder Geld mitgebe für irgendwas.

Als Corona anfing, hatte ich keine Angst vor dem Virus. Im Irak hab’ ich schon viel Schrecklicheres erlebt. Wegen der Strafe ist es trotzdem schlimm für mich. Ich hätte lieber die Krankheit als 1.200 Euro Strafe bekommen. Nun passe ich gut auf, auch wenn es schwer ist, drinnen zu bleiben. Im Heim gibt es nicht viel Platz und nichts zu tun. Ich warte hier seit fünf Jahren ohne Arbeit. Es ist so langweilig. Ich darf sowieso schon nichts machen. Quarantäne macht es aber noch schlimmer und die Angst wegen der Strafe auch.“

Tarek heißt eigentlich anders. Um ihn zu schützen, haben wir seinen Namen geändert. Im Irak und auf seiner Flucht hat er Furchtbares erlebt. Leider (bisher) nicht Grund genug für einen positiven Bescheid. Tarek ist leidenschaftlicher Fotograf, Sportler und Bruder.

Martin Sprenger (7)

„Jede Pandemie verstärkt die soziale Ungleichheit. Die Armen werden ärmer, die Reichen werden reicher. Vor allem Menschen in Billigjobs halten den Staat am Laufen, wenn andere im Homeoffice sitzen. Es waren die schlecht bezahlten Kassiererinnen, Pflegekräfte, Paketfahrer und Essensradler, die uns bestens versorgten. Plötzlich werden jene unentbehrlich über die wir uns immer abschätzig geäußert haben, die 24-Stunden-Betreuerinnen und Erntehelfer. Bei den direkten Folgen von COVID-19 zeigt sich schon jetzt eine massive Ungleichheit. In Großbritannien betraf ein Drittel der schweren Verläufe ethnische Minderheiten, obwohl sie nur ein Siebtel der Bevölkerung ausmachen.
In den USA waren Latinos und Afroamerikaner vermehrt betroffen. Bei den indirekten, durch Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie entstehenden Folgen, ist es noch dramatischer. 300 Millionen Kinder sind von Hunger bedroht, weil es keine Schulverpflegung gibt. Zu den jährlich eine Million Malariatoten könnten noch Tausende dazukommen, da die Auslieferung von Schutznetzen eingestellt wurde. Unzählige Kinder könnten versterben, da die Masernimpfprogramme ausgesetzt wurden. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Auch in Österreich werden wir nicht nur einen Anstieg der Arbeitslosigkeit, sondern auch einen Anstieg der Kinderarmut erleben. Die jetzt versprochenen 40.000.000.000 Euro, werden sicher nicht dem Sozial-, Kultur-, oder Bildungsbereich zugutekommen, sondern zur Rettung von Großkonzernen verwendet. Die Konzentration von Macht, die Kontrolle der Medien, der eingeschränkte Zugang zu Daten, die anhaltende Angst von so vielen Menschen stimmt mich nachdenklich. Es wird Zeit, dass der Sommer kommt und der warme Wind für virusfreie Köpfe und Träume sorgt.“

Martin Sprenger ist Public Health Experte und hat nach seinem Austritt aus der Corona-Taskforce im Bundesministerium in Texten und Interviews versucht die soziale Dimension dieser Pandemie sichtbar zu machen.

Anita Oswald (6)

„Ich erlebe die Covid 19 Krise als alleinerziehende Mutter mit meinem Sohn als Herausforderung mit großen Chancen. Zu Beginn der ‚plötzlichen Veränderung von Arbeits,- & Schulstruktur‘ war es mir ein wichtiges Anliegen, meinen 10jährigen Sohn mit größtmöglicher Gelassenheit in die wie er zu sagen pflegte: „Corona Ferien“ zu begleiten. Unser Schutz und eine in mir innewohnende große Portion Urvertrauen, dass alles gut wird, waren die stärksten Anliegen und Anker für mich. Da es mir leichtfällt, Strukturen im Alltag zu leben, hielten wir die veränderten Tagesstrukturen ebenfalls ein, wichtig dabei waren die täglichen Spaziergänge bzw. Ausflüge mit dem Rad.

Die größten Herausforderungen für mich waren, dass mein Sohn bei der Bewältigung der Lernpakete zeitgleich Unterstützung brauchte, währenddessen ich meinen Home Office Pflichten versuchte nachzukommen. Neben dem Vorbereiten der Mahlzeiten, dem Einhalten der ‚Ausgehzeiten‘, dem Nachkommen der Haushaltsreinigung und der wichtigen ‚Familien bzw. Kuschelzeiten‘ konnte der Arbeitsblock nur schwer verschoben werden. Dies löste sicherlich einen inneren Zwiespalt aus, ich setzte meine Priorität ‚Beziehung zu meinem Sohn‘, und erhielt: „Kann ich meiner Arbeitsleistung nachkommen“? Ich habe beobachtet, dass meinem Sohn das Schulumfeld ‚Lernen auf unterschiedlichen Wahrnehmungskanälen‘ fehlt, dennoch finde ich es fantastisch, wie gut strukturiert er seine Lernpakete ausfüllen konnte.

Da ich als Karrierelotsin, als Coach im Austausch mit den Mädchen & Frauen unseres Projektes ‚Karrierelotsinnen Obersteiermark Ost‘ bin und in dieser Krise immer war, wurde mir aufgrund der besonderen Situationen sehr stark bewusst, wie wichtig und stärkend es für andere Menschen ist, sich selbst ein guter Coach zu sein, hoffnungsvoll und verständnisvoll zu sein. Wir alle sind in derselben Situation mit vielen Unsicherheiten und unterschiedlichsten Ängsten, und doch erleben die Menschen dieselbe Situation so unterschiedlich. Ich bin sehr dankbar, diese Stärken als eigene Ressourcen in mir einst entdeckt zu haben und für mich, für meinen Sohn und für andere Menschen anzuwenden.

Es gibt viele tolle, starke Frauen die wir im Rahmen des Projektes Karrierelotsinnen begleiten dürfen. Mitunter möchte ich gerne von einer alleinerziehenden Mama mit Kindern erzählen, die diese Zeit der Krise nutzt, wieder sehr viel gemeinsam mit ihren Kindern zu kochen und zu spielen. Eines ihrer Kinder wurde mit dem Down Syndrom geboren und ist üblicherweise unter der Woche in einer Sonderbetreuung. Simona ist aufgrund der Erkrankung ihres jüngsten Sohnes – im normalen Leben – gewohnt, viel private Zeit ‚alleine auf dem Spielplatz mit ihrem Sohn‘ zu verbringen. Sie selbst ist auch jetzt sehr gefordert, rund um die Uhr ‚da zu sein‘, an das Alleinsein hat sie sich jedoch schon -vor der Krise- längst gewöhnt. Hoffnung und Mut gibt ihr der neue Arbeitsplatz, zu dem wir Sie begleiten konnten und den Sie, durch die Corona Krise später als geplant jedoch mit 1.6.2020 von Mo – Fr als  Befüllungstechnikerin eines Getränkeversorgers tatkräftig aber auch dankbar umsetzen wird.

Zum Ausdruck möchte ich bringen, dass alleinerziehende Frauen oder Männer gewohnt sind, stark für die Kinder zu sein, so wie es jede Mama und jeder Papa auch ist. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man ‚für sein Kind‘ alles versuchen wird, die Familie zusammen zu halten, damit man ‚gemeinsam, stärker durch Krisen‘ gehen kann. Manchmal wird man jedoch vom Leben überrascht und findet sich in einer Krise wieder, auch wenn man meint, alles getan zu haben. Wesentlich scheint mir jedoch, wie man die Situation bewertet und demzufolge, wie man mit dieser Situation umgeht. Deshalb und nunmehr da sich wieder Öffnungen von Ausgangsbeschränkungen auftun und es ein Leben nach der Krise geben wird……

Ich erlebe diese herausfordernde Zeit als große Chance und wenn ich in einigen Jahren zurückblicke werde ich sehen, dass mir die Beziehungsqualität mit mir, meinen Lieben und den Menschen ein besonderes Gut ist, für das ich sehr viel Dankbarkeit in mir trage.“

Anita Oswald ist alleinerziehende Mutter und begleitet und öffnet als Karrierelotsin in der Obersteiermark Ost Frauen und Mädchen berufliche Perspektiven.

Tatjana Petrovic (5)

„Gestern schickte mir ein Freund eine Nachricht, dass er sich in der Psychiatrie befindet. Normal wäre er zu Cuntra gekommen (Projekt Psycho Caffee) . Oder in die Kirche. Wir hätten geredet, wie wir es immer früher gemacht haben und Psychiatrie wäre ihm erspart geblieben. Eine andere Klientin hat akute Beziehungsprobleme, Gewalt inklusive. Normal geht Sie Cuntra, ihr Mann mit Burschen Boxen. Eine dritte hat versucht vor einer Woche sich umzubringen weil Sie 7 Tage nicht schlafen konnte…

Wir sitzen nicht alle im selben Boot. Wir befinden uns auf einem Planeten, aber unsere Boote sind vollkommen verschieden. Manche haben sogar keine Boote, sondern versuchen sich nur über Wasser zu halten um nicht zu ertrinken. Andere sitzen in einem Gummiboot ohne Motor und haben sogar die Paddeln verloren. Andere wiederum segeln in einer Luxusjacht, umgeben von Angestellten oder besitzen sogar eigene Inseln, Hafen inklusive. Und andere wieder verdienen sogar Millionen in ein paar Tagen weil Boote und Mannschaft so Vieles brauchen. So viel zum „Sitzen im selben Boot“. Einige Menschen sind durch die Corona-Krise in Not geraten, einige sind reicher geworden und andere wiederum haben mehr Macht bekommen: Ja, die Corona-Krise erwischt jede/n, aber nur erwischt sie jede/n anders. Eigentlich müssten Solidarität und Empathie der Kern des Handelns sein! Es geht nicht darum, dass jede/r gleich viel bekommt, sondern darum, dass jede/r so viel bekommt wie er/sie braucht. Das Problem ist nur, dass manche so viel haben, dass sie die Hälfte davon abgeben könnten und immer noch viel zu viel hätten. Andere wiederum haben gar nichts. In Zeiten der Krise werden diese Unterschiede besonders klar sichtbar.

Ich telefoniere momentan mindestens 8 Stunde täglich. Viele Menschen, die Unterstützung brauchen, kommen zu mir nach Hause, manche bleiben mehrere Tage. Mein Haus ist groß, 4 Stöcke, 11 Zimmer, 5 Bädern, also Abstand kein Problem. Ich frage mich nur, in welchen Statistiken werden solche Fälle sichtbar und wie sehen langfristige Folgen aus? Diese Kollateralschäden, wie rechtfertigen wir sie als Gesellschaft? Das ist etwas, was mich zutiefst bewegt und gleichzeitig auch wütend macht.“

Tatjana Petrovic verbinden in Graz viele mit „CunTRA la Kunshure“ oder ihrem neuen Nachbarschafts- und Kulturzentrum „sancTuary„. Eine ihrer Berufungen hat die vielseitige Macherin in der Psychotherapie gefunden.

Foto: Valerie Maltseva

Larissa D. (4)

„Momentan ist unser Betrieb nur für jene Kinder geöffnet, deren Eltern in systemerhaltenden Berufen arbeiten. Den Eltern meiner Betreuungskinder die nun zuhause sind, gebe ich gern folgende Tipps: Es ist wichtig am Vorabend den nächsten Tag in groben Zügen zu planen, gemeinsame Zeit für das Frühstück, im Garten oder für Spiele zu fixieren ohne den ganzen Tag zu verplanen. Wenn die Kinder nicht die Möglichkeit haben, sich im Garten auszutoben, dann wird die Wohnung mit Fantasie zum Abenteuerland –bei sogenannten Mitmach-und Bewegungsgeschichten. Man stellt sich dann gemeinsam vor, man wär im Wald, springt über Baumstämme, die gerade noch normale Polster waren und entdeckt verschiedene Tiere. Das macht Spaß und powert die Kinder im positiven Sinne aus.“

Larissa D. ist 25 Jahre alt, lebt in Graz und arbeitet als inklusive Elementarpädagogin mit Kindern im Alter von 3 bis 6 Jahren im Bereich IZB (Integrative Zusatzbetreuung) für MOSAIK. Die gemeinnützige GmbH betreut, berät und fördert Menschen mit Behinderung (von Kindes-bis Erwachsenenalter).

Klaus Kastberger (3)

„Führende Zeitungen haben ihre Kultur-, Kommentar- und Diskursteile in den letzten Tagen stark gekürzt. (…) Was für ein Kulturbegriff steckt hinter solchen Entscheidung? Glaubt man etwa, dass die Kultur dieses Landes aufgehört hat, nur weil es derzeit keine Publikumsveranstaltungen gibt? Viele Kulturschaffende und viele Kultureinrichtungen haben ihren Wirkungsraum sehr schnell ins Netz oder in andere Räume verlagert. Da gäbe es auch für eine reine Berichterstattung jede Menge zu tun! Es geht aber gar nicht allein um Berichterstattung. Gerade jetzt ist ein klares Bekenntnis gefordert, dass Kunst und Kultur zu einer Reflexion der momentanen Situation Maßgebliches beitragen kann. (…) Gerade jetzt wäre eine etwas andere und wohl auch solidarischere Auffassung von Kultur und insgesamt ein Mehr davon vonnöten.“

Klaus Kastberger unterrichtet neuere deutschsprachige Literatur am Franz-Nabl-Institut der Universität Graz und leitet des Literaturhaus Graz. Sein Wirkungsraum im Netz: literaturhaus-graz.at

Foto: Clara Wildberger

Milad Kadhkodaei (2)

„Ein gegenseitige Verständnis beruht nicht nur auf der gemeinsam gesprochenen Sprache, sondern vor allem auf Empathie, Offenheit und dem gegenseitigen Respekt. Das Wissen über Umgangsformen, familiäre Systeme und kulturelle Hintergründe bildet darüber hinaus die Grundlage für ein gelingendes Miteinander.Insbesondere der Umgang mit speziellen Merkmalen, wie z.B. einer fremden Sprache, verschiedenen Behinderungsformen, sexuellen Orientierungen, Migrationshintergründen oder unterschiedlichen Glaubensrichtungen bereitet uns oft Schwierigkeiten.

Die Auseinandersetzung mit den Wertevorstellungen anderer Kulturen und die Bereitschaft, die eigene „Kulturbrille“ abzulegen, erweitert nicht nur den Horizont und eröffnet eine andere Perspektive, sondern bildet auch die Basis für ein gelungenes Miteinander. Mein Ziel ist es die vielen (oft nicht gesehenen) Kompetenzen junger Menschen in den Vordergrund zustellen.

Vielleicht braucht es diese aktuell herausfordernde Zeiten der Entschleunigung, um das Bewusstsein für die tatsächlich relevanten Themen in den Vordergrund zu rücken. Vielleicht hat es genau diesen Coronavirus gebraucht, um uns im Jahr darauf hinzuweisen, dass wir eventuell vom Weg abgekommen sind. Gesundheit, Familie, Solidarität aber vor allem Menschlichkeit sind Werte, die plötzlich unser Alltag prägen. Eine Richtungskorrektur, von der hoffentlich unsere Nachkommen profitieren werden…“

Milad Kadkhodaei ist Geschäftsführer und Mitbegründer von OPEN SPACE. Die soziale und kulturelle Plattform bietet an [außer-] schulischen Institutionen Workshops in jenem wertschätzenden Rahmen, der den Austausch zu gesellschaftsrelevanten Themen auf Augenhöhe ermöglicht und zugleich Wissen vermittelt. Aktuell beschäftigt sich OPEN SPACE intensiv mit den Herausforderung für Kinder und Jugendliche im Umgang mit Covid-19.

OPEN SPACE findet ihr außerdem auf
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Foto: Claudia Rindler – ÖIF

Rosemarie Kurz (1)

„In dieser Ausnahmesituation wird mir das als Kind im 2. WK Erlebte erst so richtig bewusst. Doch aus diesem neuen Bewusstsein schöpfe ich Kraft. In meinem Innersten hat sich jene Struktur gebildet und sind jene Instrumentarien herangewachsen, die mir im Heute und Jetzt helfen, mit den aktuellen Herausforderungen umzugehen. Diese inneren Werkzeuge, die mich wohl als Kind unbewusst getragen haben, kann ich nun bewusst zum Einsatz bringen. Vielleicht kann unsere Generation derjenigen, die den Krieg noch in frühen Tagen miterlebt hat, mit Krisen besser umgehen und dieses Wissen an andere weitergeben.“

Mag. Dr. Rosemarie Kurz ist Gründerin der GEFAS Gesellschaft zur Förderung der Alterswissenschaften und des Seniorenstudiums an der Universität Graz und unermüdliche Kämpferin für Partizipation aller Generationen am gesellschaftlichen Leben.

Wer gern mit Rosemarie Kurz über ihre “inneren Werkzeuge” plaudern möchte, schreibt ihr am besten per Mail an rosemariekurz@gmx.at

Foto: Doris Sporer