Eine unterirdische Idee?
Mit der Präsentation einer U-Bahn für Graz hat Bürgerinnen*meister Siegfried Nagl den Wahlkampf eröffnet. Peter K. Wagner hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und findet, dass der Weg in den Untergrund ein teures Missverständnis ist.
* In diesem Artikel sind Männer immer mitgemeint. Danke an unsere Leserin Irmgard für die Idee.
An einem Donnerstag Mitte Februar stellt der Grazer Bürgerinnenmeister Siegfried Nagl seiner Stadt ein neues „Verkehrszeitalter“ in Aussicht. Eine Machbarkeitsstudie kam zum Schluss, das stetig wachsende Graz brauche zwei U-Bahn-Linien (siehe rechts). Eine Mini-Metro, wenn man es genau nimmt. Länge: 25,4 Kilometer. Kosten: 3,3 Milliarden Euro. Fertigstellung: 2030. Höchstgeschwindigkeit: 80 km/h, Durchschnittsgeschwindigkeit: 36 km/h. Im Internet stelle ich fest, dass es – die Einschätzungen variieren – gerade einmal etwas mehr als 200 Metros weltweit gibt. Ich versuche mir anhand der geplanten Haltestellen vorzustellen, welche Wege des täglichen Lebens ich mit dieser führerinlosen Mini-U-Bahn bestreiten werde. Ich bin ein sehr zentral wohnender Allesfahrer. Soll heißen: Ich nehme, was praktisch und (kosten)effizient ist. Und Auto besitze ich nur deshalb seit vergangenem Herbst keines, weil der alte Chevy nicht mehr wollte und ich dem Carsharing der Stadt Graz ein Jahr eine Chance gebe, um danach zu analysieren, was für mich als Teilzeitalleinerzieher praktischer ist.
Ich merke schnell: Diese U-Bahn ist nix für mich. Sie bringt mich nicht nach Andritz (keine Station), nicht schneller zu meinen Eltern zum Kalvarienberg (zweimal zu langer Weg zur Station), schon gar nicht ins Büro (Fußweg zehn Minuten) und hilft auch nicht, wenn ich schwere Einkäufe nach Hause bringen will. Alle anderen Wege sind ohnehin praktischer mit dem Rad oder mit Bus oder Bim. Ich höre mich ein bisschen im Bekanntenkreis um, werde immer skeptischer und gebe eine Illustration für die aktuelle Ausgabe in Auftrag, die mit dem Ruf von Siegfried Nagl als Freund der Baukräne spielt. Immerhin wollte unser Bürgerinnenmeister uns schon per Gondel auf den Plabutsch schicken, unsere Autos in Waben unter dem Eisernen Tor verschwinden lassen, das olympische Feuer in die Stadt holen und eine Direktseilbahn zum Flughafen bauen. Aber ich will nicht ironisch werden, sondern
einer neuen Idee auch eine Chance geben – und suche das Gespräch mit unterschiedlichsten Expertinnen.
Schnell erkenne ich, dass es eine Sache gibt, die man vor-anstellen muss, wenn es um Mobilität im urbanen Raum geht. Den sogenannten Modal Split. Er erklärt, mit welchem Verkehrsmittel wie häufig Wege zurückgelegt werden. In der Stadt Graz hat sich hier in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich des öffentlichen Verkehrs kaum etwas verändert:
Warum sich in dieser Statistik so wenig getan hat, dafür liefert mir mein erster Gesprächspartner eine Erklärung. Christian Kozina ist Sprecher von MoVe iT (Mobilität und Verkehr in Transformation), einer Mobilitätskampagne aus der Zivilgesellschaft. „Der Modal Split zeigt in den vergangenen 40 Jahren nur eine wesentliche Veränderung: Es wird mehr Rad gefahren, weil sich Erich Edegger Anfang der 80er gegen alle Widerstände durchgesetzt und ein Radwegenetz gebaut hat.“ Er sagt aber auch, dieses Netz sei nicht mehr zeitgemäß und habe sich zu wenig weiterentwickelt. Aber das ist eine andere Baustelle. Edegger, das war der Vizebürgerinnenmeister der ÖVP und Fahrradpionier ohne Führerschein, der Radaktivistinnen die erste Grazer Fahrradwegschablone abkaufte. Ein Mann der Marke Visionär. Ist so einer aktuell auch in Sicht, frage ich mich?
„Cäsarenwahn“ bei Nagl
Die Verkehrsvision der Gegenwart kommt nicht von einem Edegger oder einer breiten Bürgerinnenbewegung wie MoVe iT – sie setzen in ihrem kürzlich präsentierten Konzept neben S-Bahn auch auf einen S-Bus –, sondern von einer GmbH. Von der MUM. MUM steht für „Moderne urbane Mobilität“ und verspricht damit genau das, was sich alle Grazerinnen wünschen. Nur, dass diese Gesellschaft, die von der Stadt Graz bzw. der Holding Graz installiert wurde, eine knappe halbe Million Euro für eine Studie ausgab, in der lediglich festgestellt wurde, ob eine U-Bahn, eine Seilbahn oder beide Systeme die Verkehrsmisere beenden. „Interessanter wäre gewesen, verschiedene Konzepte gegenüberzustellen – auch einen Straßenbahnausbau oder eine S-Bahn-Erweiterung“, hält Kozina den Auftrag für zu einseitig.
Auch die Opposition war wenig begeistert von der Vorgangsweise. Allen voran Elke Kahr von der KPÖ, die aufgrund der U-Bahn-Pläne gar meinte, bei Nagl sei „ein bisschen ein Cäsarenwahn feststellbar“. Eine Formulierung, die sie mir am Telefon wie folgt erklärt: „Ich hab es deshalb so gesagt, weil ein Vorhaben außerhalb des Gemeinderats vorangetrieben wurde.“ Für alle, denen es nicht bekannt ist: Die KPÖ gilt nicht unbedingt als Partei des Verkehrs, bekam ebenjenes Ressort aber nach dem Murkraftwerkstreit und der Neuwahl von der ÖVP-FPÖ-Koalition umgehängt, während das KPÖ-Kernressort „Wohnen“ an den Juniorpartner von Nagl wanderte. Oder wie es Christian Kozina ausdrückt: „Wenn Stadtplanung beim Bürgerinnenmeister angesiedelt ist und Verkehr bei der Opposition, ist es vorprogrammiert, dass keine großen Erfolge für eine Verkehrsstadträtin möglich sind.“ Vielleicht sagt Elke Kahr deshalb so verstimmt: „Nagl versucht mit Gewalt ein neues System für den öffentlichen Verkehr mit viel medienwirksamer Propaganda der Bevölkerung schmackhaft zu machen.“ Laut VP-Finanzstadtrat Günter Riegler beliefen sich die PR-Kosten für die Grazer Mini-Metro auf 75.000 Euro. Das schreckt mich nicht. Schon eher war ich verwundert, dass ich bei einem Besuch in Wien entdeckte, dass Holding und Stadt Graz den „Kurier“ am ersten Märzsonntag mit acht Seiten Metro-Werbung ummantelte. Kosten: Noch einmal 70.000 Euro. Wenn jemand so viel Geld für etwas ausgibt, hat er Hintergedanken – oder glaubt, wen überzeugen zu müssen. Ich realisiere: Der Grazer Gemeinderatswahlkampf hat begonnen.
Das politische Freibier
Schon bevor die U-Bahn-Pläne präsentiert wurden, eilten die Grazer Grünen mit der Idee eines unterirdischen S-Bahn-Rings für Graz voraus. Die SPÖ rund um Michael Ehmann will noch mehr Straßenbahnen, die NEOS probieren über Bürgerinnenbeteiligung, ein Konzept zu erarbeiten, und fürs Verkehrsressort der KPÖ wird gerade eine Studie des renommierten Verkehrsexperten Willi Hüsler ausgearbeitet (wir werden noch später von ihm lesen). Ich rufe Heinz Wassermann an. Für den steirischen Politexperten von der FH Joanneum ist die Frage nach einer U-Bahn ähnlich einer nach dem wöchentlichen Freibier für alle. „Wer soll da von vornherein ‚Nein, will ich nicht‘ sagen? Mich wundert, dass die Umfragen eine nicht noch breitere Zustimmung zeigen. Ich gehe davon aus, dass sich diese Themensetzung seitens der Grazer Volkspartei auf Umfragedaten stützt.“ Für ihn ist die Präsentation der Mini-Metro-Pläne perfekt getimt. „Nagl hat es wieder einmal geschafft, ein Thema im Wahlkampf zu setzen.“ Die anderen Parteien würden jetzt nachziehen müssen. Und Wassermann macht noch einen strategischen Vorteil aus: „Nagl kann erneut damit wahlkämpfen, wie sehr er Visionär für Graz ist und vom Verhindererkartell sprechen, da – bis auf die FPÖ – die politische Konkurrenz gegen die Pläne ist.“
Allerdings sieht auch der Politexperte nicht alles nur optimistisch für die Volkspartei. „Fraglich ist, wann die Gemeinderatswahlen stattfinden, weil irgendwann wird sich die Frage der Finanzierung stellen. Dass es mit den 3,3 Milliarden nicht getan sein wird, kann man sich ausrechnen.“ Für die Finanzierung bräuchte es außerdem wohl einiges an Überzeugungsarbeit auf Landes- und auf Bundesebene. Der zuständige Landeshauptmann-Stellvertreter Anton Lang (SPÖ) sagt: „Es ist legitim, neue Systeme zu prüfen.“ Politexperte Wassermann meint: „Das heißt in der Übersetzung: Sicher nicht. Das hat die Olympia-Bewerbung der Stadt Graz schon gezeigt.“ Auf Bundesebene zeigt sich Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) gegenüber der „Kleinen Zeitung“ „sehr gespannt auf die detaillierte Vorstellung des Projekts“, lobt aber lieber Straßenbahnprojekte. Aber da fällt mir etwas ein. In einem Präsentationsvideo der Grazer U-Bahn spricht Holding-Chef Wolfgang Malik davon, dass neben Wien auch bald Salzburg den Verkehr nach unten verfrachtet. Oha, Chance?, denke ich mir, und lese nach. Tatsächlich, Bund und Land finanzieren eine Salzburger U-Bahn mit. Aber der Vergleich hinkt gewaltig. Es ist nicht einmal eine Mini-Metro, Salzburg will einen Kilometer Regionalstadtbahn bis zum Mirabellplatz verlängern.
Der MUM fehlt der Mumm
Ich habe bisher lediglich verstanden, dass die U-Bahn eine gute Wahlkampfstrategie ist. Aber all das Engagement und die Zeit vonseiten der MUM – das muss mehr sein als politisches Framing. Doch wie nur kommt man auf diese unterirdische Idee? Nagl selbst hat für ein persönliches Gespräch keine Zeit, er konnte mir nur schriftlich über seinen Pressesprecher Fragen beantworten. Das ist schade, weil E-Mail-Interviews oft nur PR-Floskeln beinhalten, die wenig aussagen. Ich bekomme kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe ein paar Auskünfte. Etwa, dass die gesamte, 300 Seiten lange, MUM-Studie veröffentlich werden soll, „wenn alle Freigaben der Studienautoren vorliegen“. (Anm.: zum Zeitpunkt der Drucklegung war die Studie noch nicht verfügbar, mittlerweile schon). Und auch, warum die MUM ohne Befragungen der Grazer Bevölkerung arbeitete: „Eine Einbindung der Bürgerinnen erfolgte nicht, da zuerst ein von einem breiten Expertinnengremium ausgearbeitetes Konzept notwendig war.“
Interessanter war das ausführliche Gespräch mit Andreas Solymos, das ich schon Tage vorher führen konnte. Der Bereichsleiter der Holding, langjähriger öffentlicher Verkehrsmittelstreiter für Graz und Geschäftsführer der MUM, verweist mich auf den Modal Split der letzten Jahre und sagt: „Wir wollten mehr öffentlichen Verkehr erreichen, aber die massive Reduktion des Autoverkehrs hat nicht stattgefunden.“ Die Bedingungen, das Auto zu nutzen, seien zu gut, und auch Maßnahmen wie Parkgebührenerhöhung hätten keinen gewünschten Effekt erreicht. Auch sagt er: „Es ist eine Frage der persönlichen Einstellung, ob man umweltschonend unterwegs sein will. Menschen, die streng rechnen, würden den öffentlichen Verkehr dem Auto vorziehen. Es ist sicher auch der innere Schweinehund, der den PKW vorzieht.“ Er hat recht. Und doch erkenne ich: Hier strotzt niemand vor progressiven Ideen wie Paris’ Bürgerinnenmeisterin Anne Hidalgo, die sogar der Champs-Elysees die Hälfte des Autoverkehrs nehmen und begrünen will. Ich habe auch Bürgerinnenmeister Nagl darauf angesprochen. Er betont per Mail: „Auch Anne Hidalgo setzt auf einen massiven Ausbau des U-Bahnnetzes bis zum Jahr 2030. Sie setzt den Anreiz mit einem attraktiven Öffentlicher-Verkehr-Angebot, sodass viele auf ihr Auto im innerstädtischen Bereich verzichten können.“ Auch betont er, dass aktuell mit 100 Millionen Euro der Radverkehr in der Stadt gestärkt würde. Spätestens jetzt hätte ich gerne persönlich mit ihm gesprochen, weil ich das Gefühl bekomme: Nagl und der MUM geht es eigentlich um dasselbe wie jenen Menschen, die gegen die U-Bahn sind.
Ich muss an Straßenbahnen denken. Selbst tendenzielle Öffiverweigerinnen in Graz sind große Straßenbahnfreundinnen. Ich erinnere mich an einen Text über alte Grazer Bimlinien, den ich einmal gelesen habe. Ich recherchiere noch einmal nach. Zwischen 1951 und 1971 wurden insgesamt neun Grazer Straßenbahnabschnitte aufgelassen – für Millionen von Schillingen. Weil die Trams immer weniger genutzt wurden und der Zeitgeist sich für den modernen Individualverkehr und das Auto aussprach. Dass heute Bims die beliebtesten öffentlichen Verkehrsmittel sind, muss gar nicht mit Zahlen belegt werden – es zeigt sich an der immensen Taktung zu Stoßzeiten in der Innenstadt und den Plänen zur Entlastung der Herrengasse über die Neutor- und Belgiergasse. Aber auch an einer Absichtserklärung des Grazer Gemeinderats von 2019, wonach die Straßenbahnlinie 2 vom Bahnhof über die Keplerbrücke zur Karl-Franzens-Universität reaktiviert sowie eine Südwestlinie über den Griesplatz bis nach Webling installiert werden soll. Pläne, über die – und das gilt es zu betonen – mehr oder weniger parteienübergreifend Konsens besteht. Nagl erklärt auch per Mail: „Alle beschlossenen Straßenbahnprojekte werden realisiert.“ Eine solche Polit-Einigkeit würde ich mir als Bürger der Stadt auch für ein teures Großprojekt wie eine Mini-Metro wünschen – dann hätte ich das Gefühl, es fühlen sich möglichst viele Menschen abgeholt. (Ja, ich bin ein Naivling.)
Aber eigentlich habe ich es schon verstanden: Die Holding, der Bürgerinnenmeister, die MUM – sie haben nicht nur den Glauben an die Straßenbahn verloren, sondern ihnen fehlt auch der Mumm. Sie propagieren die Mobilitätswende und vergessen auf das Offensichtliche: In Graz regiert das Auto. Was Solymos als „demokratisch“ im Sinne der Entscheidungsfreiheit bezeichnet, kann man auch so sehen wie Christian Kozina von MoVe iT: „Bürgermeister Nagl hat die Linie, den Autos den Platz nicht zu nehmen. Das wird aber notwendig sein: Wenn Autofahren nicht langsamer und unbequemer wird, werden die Menschen nicht umsteigen.“ Darüber hinaus gäbe es Studien, die zeigten, dass die Nutzung von Autos im urbanen Raum zurückgeht. „Junge Menschen machen heute etwa wesentlich später den Führerschein.“ Und Kozina sagt weiter: „Die Argumentation ist, dass an der Oberfläche kein Platz ist – deshalb muss der Verkehr nach unten verlagert werden. Das ist falsch. Den Platz sieht man nicht, wenn alles zugeparkt ist, aber wenn die Verlagerung vom Auto auf andere Verkehrsmittel stattfindet, wird genügend Platz frei.“
Der Metzger will kein Schweizer Taschenmesser
Ich habe noch ein Aufklärungsass im Ärmel: Willi Hüsler. Man kennt den Schweizer Verkehrsexperten in Graz. Die angesprochene Straßenbahnreaktivierung der Linie 2 und die geplante Südwestlinie fußen auf seiner Studie von 2019, und er erstellt gerade eine S-Bahn-Studie für Graz und die Steiermark. Sie soll im Mai fertig werden. Hüsler berät Graz seit Jahrzehnten in Verkehrsfragen. Im Jahr 2000 etwa war er auch Teil jener Expertinnengruppe, die das tat, was sich Christian Kozina von MoVe iT wünschen würde: viele Verkehrssystemoptionen vergleichen lassen von mehr als nur lokalen und nationalen Expertinnen. Die Conclusio der Studie damals: Für eine U-Bahn ist Graz zu klein, das ergibt volkswirtschaftlich keinen Sinn. Besser wäre der Straßenbahnausbau. „Seitdem hat sich viel verändert“, sagt Hüsler.
Und wie steht er nun heute zur Mini-Metro? Hüsler sieht in ihr ein Schweizer Taschenmesser. „Allerdings für einen Metzger – er wird es nicht verwenden. Was ich mit diesem Bild meine: Diese Klein-U-Bahn soll möglichst viel können – sowohl schnell sein, als auch nahe zu den Leuten kommen. Das geht nicht gut. In Deutschland wurden Systeme gebaut, die beides können sollten, sie sind teuer und haben wenig Erfolg. Ich bin der Meinung, dass ein vorhandenes schnelles System wie die S-Bahn viel zusätzliches Potenzial hat und – gemeinsam mit der lokalen und regionalen Feinerschliessung gedacht – sehr attraktiv sein könnte.“ Aber Details arbeite er mit einer Expertinnengruppe erst aus. Außerdem ergänzt er: „Auch wenn ich daran zweifle, dass ein neues – drittes – öffentliches Transportsystem in Graz notwendig ist, würde ich es sehr spannend finden, die Idee zu untersuchen und nach neutralen Kriterien zu bewerten.“ Die große Frage für ihn ist: „Braucht es ein Zubringersystem zu den Stationen der Klein-U-Bahn oder akzeptieren die Grazerinnen den Anmarschweg bei einem Haltestellenabstand von einem Kilometer? Untersuchungen zeigen, ab einem Anmarschweg von 300 Meter – das sind etwa fünf Minuten – schwindet die Akzeptanz des öffentlichen Nahverkehrs merklich. Ohne Details zu kennen, gehe ich davon aus, dass in der U-Bahn Studie von einem Anmarschweg von bis zu 600 Metern ausgegangen wurde.“ Was Hüsler ausführt, ist das, was ich mir beim Studieren der geplanten Linienführung auch aus meiner persönlichen Sicht dachte. Aber ich habe noch zwei Fragen an ihn.
Und was denkt er über den Modal Split der Stadt Graz, der keine Verringerung beim Auto kennt, und Solymos, Nagl und Co. den Glauben an die Straßenbahn nahm? „Es ist wie ein teures Wettrüsten – wenn man überall investiert, bei Straßen für Autos und bei öffentlichen Verkehrsmitteln, ändert sich nichts.“ Hüsler nennt ein Beispiel: „In Zürich, wo Tram und S-Bahn stark ausgebaut wurden und eine restriktive Parkierungspolitik verfolgt wird, sind die Autofahrten von 2000 bis 2015 von 40 auf 25 Prozent zurückgegangen und die Öffis haben von 30 auf 41 zugelegt. Anders wäre auch das starke Wachstum der Stadt kaum möglich gewesen.“ Ich will noch etwas wissen. Es gibt vergleichbar „kleine“ Städte wie Graz, die U-Bahnen haben – Rennes in Frankreich etwa – kann man das vergleichen? „Nur bedingt. Dort gibt es keine Straßenbahnen. Sie wurden abgebaut – wie in den meisten Städten Frankreichs. Es ist aber eher eine Ausnahme, weil französische Städte Straßenbahnen in vielen Fällen wiederaufgebaut haben.“ – „Am Schluss“, sagt er dann noch, „fließen all diese Überlegungen in eine Art von politischem Kräfteparallelogramm, bei dem die Prioritäten einmal in eine bestimmte Richtung weisen werden.“ Ich muss wieder an Wahlkampf denken. Ich mag Grazer Wahlkämpfe, weil sie mich so unmittelbar betreffen. Er wird diesmal im Zeichen von U-, S- und Straßenbahnen in Graz stehen. Was die Grazerinnen nur freuen kann, jede will doch moderne, urbane Mobilität, oder? MUM-Geschäftsführer Andreas Solymos hat zu mir gesagt: „Es ist gut, dass es auch andere Konzepte gibt. Das Beste möge gewinnen.“ Ich hoffe nur, es bekommen wirklich alle dieselben Chancen, lieber Herr Bürgerinnenmeister.