Text: Julia Reiter
Fotos: Peter Pataki

Döner sei Dank!

Eine unverhoffte, nächtliche Begegnung hat unsere Redakteurin zu der Frage geführt: Wer sind eigentlich die Menschen, die uns rund um die Uhr mit Fast Food versorgen? Antworten fand Julia bei Erkan, Amir und Safi.

„Beam me up, beam me up town, beam me down, beam me down, down, down,…“ Während die Klangkraft meines Ohrwurms verblasst, geht es auch mit dem Rest bergab. Ich spüre die feucht-fröhlichen Stunden auf der Tanzfläche bis in die letzte Faser meiner Muskel und die letzte Ecke meines Magens. Oh Gott, feucht-fröh…. der bloße Gedanke daran, lässt meinen Gaumen nach Galle schmecken. „Down, down, down…“ fährt mein System weiter runter, während meine durch Spritzer stimulierten Neuronen meinem Körper vor allem ein Signal senden: Süß, salzig, fettig – egal was – aber jetzt, schnell, sofort! Getrieben von dem unbändigen Drang fahre… nein, torkle ich durch die Annenstraße (Vernünftig wie ich bin habe ich mein Fahrrad bestimmt zurückgelassen!) und scanne ein Lokal nach dem anderen ab. Wie oft schon habe ich den Lärm der Annenstraße verflucht, wenn ich versucht habe zwischen 3minütigen Bim-Intervallen und Gegröle Schlaf zu finden. Nun ist die Straße wie ausgestorben. Es ist kurz nach fünf. Mein Magen oder meine Neuronen oder beide sehnen das tönende Stadttreiben mit seinen offenen Läden herbei.

Annenstraße, Mitte. Durch einen kleinen Schlitz zwischen Rollo und Tür fällt ein Lichtstrahl heraus. „Geschlossen“ steht auf dem Schild. Also klopfe ich an. Ich fühle mich ein bisschen wie auf Herbergsuche (nur dass ich eigentlich ein paar Meter weiter wohne, kein Kind erwarte,…). Der Wirt öffnet wider Erwarten die Tür. Und reagiert völlig wider Erwarten anders als Wirt 1, 2, 3, 4, 5 und 6 der hochschwangeren Maria gegenüber. Kein „Wer klopfet an? Du bist zu spät! Geht mich nichts an! Da geh nur, geh!“. Der junge Mann liest mir mein Anliegen förmlich von den Lippen ab und bittet mich herzlich herein. Er entschuldigt sich, er könne mir eigentlich nichts mehr anbieten – bloß Essensreste, zurückgebliebene Bestellungen, so Zeug halt. Ich versichere ihm, ich hätte um diese Zeit und mit diesem Pegel keinerlei Ansprüche mehr. Also tischt er auf. Falafel, Pide, etwas Gemüse und die Creme de la Creme: Potato Wedges inmitten einer Joghurt-Knoblauch-Lacke mit Schafskäsekrümeln.

Knapp ein Drittel aller Vegetarier:innen essen laut einer britischen Umfrage wenn sie betrunken sind Fleisch. Ich bin das vegane Pendant dazu. Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Ich verschlinge alles was vor mir steht. Über mir tanzen glitzernd gekleidete Menschen von einer zur anderen Bildschirmkante. Ihr Gesang erinnert an Farsi oder Paschtu. Doch was weiß ich schon… Mein Gastgeber macht hinter der Theke sauber. Kurz unterbricht er sein Werkeln um mir eine Fanta zu bringen. „Du bist sicher durstig?“, stellt er mehr fest als zu fragen. Er hat sichtlich Erfahrung mit Klientel meines Zustands. Bis auf den letzten Soßenspritzer – boa Spritzer, mein Magen… – also, Soßenklecks tunke ich alles mit Pide weg. Ich möchte zahlen. „Nein, nein das passt schon“, winkt der Wirt ab. „Ist eine Einladung.“ Ich lege die letzten Meter Richtung Bett zurück. Vollgegessen und zutiefst berührt schlafe ich ein. Oft noch erzähle ich die Geschichte von dem Held, der mich nachts aufgepäppelt hat. Und frage mich: Wer steckt eigentlich hinter der Schürze?

Safi

„Ich trinke viele Energydrinks“, lüftet der junge Mann das Geheimnis um seine Superpower, als ich ihm ein paar Monate später in seinem Lokal gegenübersitze. Anders wäre es wohl auch nicht möglich seine Schichten zu bewältigen. Von 18 bis 4 Uhr hat „Safis Pizza Burger“ unter der Woche, am Wochenende sogar bis 5 Uhr geöffnet. Sieben Tage die Woche, ohne Feiertage. Nach Ladenschluss fährt Safi noch eine Stunde mit dem Auto heim, nach Hartberg. „Sekundenschlaf kenne ich gut.“ Auf meinen erschrockenen Blick hin fügt er lächelnd hinzu: „In der Nacht zu arbeiten ist anstrengend, aber ich bin es inzwischen gewohnt. Nacht ist für mich wie Tag und Tag wie Nacht.“

Als Safi das ehemalige Luminata 2016 im Alter von 20 Jahren übernahm, beinhalteten die Öffnungszeiten noch etwas mehr Tageslicht. Doch der Jungunternehmer bemerkte schnell, dass das Geschäft Nachts besser lief – immerhin gibt es in Graz kaum Lokale, die nach 2 Uhr noch offen haben – und passte sein Geschäftsmodell an: Nachtgastro, kein leichtes Pflaster. „Ich habe extrem viele Probleme mit Lieferungen“, erzählt Safi. „Die Leute sind oft so besoffen wenn sie bestellen, dass sie eingeschlafen sind bis der Lieferant bei ihnen ankommt. Dann muss ich das ganze Essen wegschmeißen und niemand bezahlt es mir.“ Besonders an den Wochenenden passiere das häufig. 100 bis 200 Euro wandern da pro Nacht in den Müll. Als Safi vor Beginn der Corona-Pandemie noch Laufkundschaft empfing, kam es immer wieder vor, dass Leute an die Tür schlugen und schimpften, wenn es kein Kebap mehr für sie gab. Hangry[1] at its worst? – Nein, es geht noch schlimmer: „Manchmal werden wir auch rassistisch beschimpft. Scheiß Ausländer!“, erzählt Safi und lacht. „Siehst du auf der Annenstraße irgendein Lokal von Österreichern? Viele gehen dort Einkaufen oder Essen und danach schimpfen sie über Ausländer.“ Dennoch solle man nicht von ein paar auf alle schließen. Nicht alle Österreicher:innen seien Rassist:innen und nicht alle Afghan:innen Kriminelle – auch wenn Sebastian Kurz, das anders angedeutet habe.

Ich merke, wie tief die rassistischen Vorwürfe gegenüber Afghan:innen, nach der Gewalttat in Wien im vergangenen Sommer, in Safis Nacken sitzen. Hinzu kommt die Sorge um seine Familie, die sich auf der Flucht vor den Taliban befindet. Er möchte sie in Sicherheit bringen, würde alle Kosten übernehmen und sie ohne Unterstützung des Staates versorgen. Doch ihm sind die Hände gebunden.  Safi zeigt mir ein Mail, in welchem ihm freundlich mitgeteilt wird, dass Österreich nicht an dem Programm der Familienzusammenführung teilnehme – als ob es sich dabei um einen Feriencampaustausch handle. „Ich habe so ein Pech.“ Vorsichtig bewegt er seine Beine unter dem Tisch. Seit einem Autounfall hat er durchgehend Schmerzen. „Kannst du dich zwischendurch auch mal erholen?“, frage ich ihn hoffnungsvoll. Safi lacht. Wenn er früh morgens nachhause kommt, werde er oft wenig später von Geschrei geweckt. Ein, vier und fünf Jahre alt sind seine Kinder. „Manchmal verbringe ich nach der Arbeit eine Stunde mit ihnen. Für meine Frau möchte ich auch da sein,“ erklärt er. „Zwischen neun und zwölf Uhr schlafe ich dann meistens. Um 16 Uhr hole ich meine Kinder im Kindergarten ab. Danach fahre ich wieder nach Graz.“ Das viele Arbeiten ist Safi mittlerweile gewohnt. Als er mit 16 nach Österreich geflüchtet ist, fing er an durchzuhakeln. Sobald es hell genug war, ging es aufs Feld um Weintrauben zu pflücken, um 14 Uhr weiter in die Küche eines Restaurants, wo er als Lehrling mithalf, gegen 23 Uhr Feierabend. „Man muss viel arbeiten, wenn man etwas erreichen möchte“, sagt Safi. „Wenn man so schwierige Startmöglichkeiten hat, ja“, füge ich hinzu. Safi lacht ein weiteres Mal: „Das stimmt. Wenn du am richtigen Ort geboren bist, ist alles anders.“

Amir[2]

Nicht mit Döner sondern mit seinem amerikanischen Verwandten versorgte Amir hunderte von hungrigen Kund:innen. Drei Jahre lang stand er in der Küche einer Mega-Fast-Food-Kette, manchmal ganz alleine, mit 50 Bestellungen im Rücken. „Es war immer Stress“, erinnert Amir sich zurück. „Zu viele Bestellungen, manchmal mit Extrawünschen: Ohne Gurken, mit viel Zwiebel,… Und das alles bei 30 bis 35 Grad Hitze.“ Die Klimaanlage sei zu teuer, wurde den Arbeitnehmer:innen gesagt. Man müsse Geld sparen. Eine weitere Sparmaßnahme fand sich in der Fritteuse. „Eigentlich muss man jeden Tag das Öl darin wechseln“, erklärt mir Amir. „Dort habe ich manchmal eine Woche lang das gleiche Öl benutzt, bis es schwarz war.“ Ein hartes Klima in jeglicher Hinsicht. Seine Arbeitgeber:innen hat Amir als sehr unfreundlich in Erinnerung. Rückenschmerzen gehörten zu seinem Alltag. Doch wegen seines Visums musste er weiterarbeiten, konnte es nicht riskieren, den Job zu verlieren. „Die Österreicher sind meistens nach einer Woche wieder gegangen. Nur die Ausländer sind übrig geblieben.“ In seinem Herkunftsland hat Amir als Flugbegleiter gearbeitet und die halbe Welt beflogen. Berufliche Ansprüche gehören mittlerweile der Vergangenheit an. Als Vater von drei Kindern, muss er schauen, dass er und seine Familie irgendwie über die Runden kommen. Aus Angst seinen Job zu verlieren, hat er sich nie beschwert. Gekündigt wurde er nach drei Jahren dennoch. „Meine Frau und eines meiner Kinder waren schwer krank und mussten ins Krankenhaus“, erzählt mir Amir. „Ich musste Pflegeurlaub nehmen um mich um das andere Kind zu kümmern. Das hat ihnen anscheinend nicht gepasst.“ Inzwischen hat Amir neue Arbeit gefunden. Doch auch dort herrscht ein raues Klima. Amirs Rücken schmerzt. Er träumt weiterhin von Arbeit, die ihn nicht kaputt macht.

Erkan

„Chef kommt sicher bald“, informiert mich der Mann hinter der Theke, während er Schippe um Schippe von dem duftenden Fleischkloß vor sich abschneidet. Sein Gesicht ist mir vertraut. Möglicherweise war er es, der mir vor vielen Jahren mein erstes Kebap zubereitet hat – damals noch „Mit Huhn und allem und gemischter Soße, bitte“. Kulinarische Nostalgie steigt auf. “Ja, ich arbeite schon seit 18 Jahren, also seit Anfang an hier“, beantwortet Mühitin meine Frage. Die Frau im roten Mantel – offensichtlich eine Stammkundin – nimmt ihr Kebap entgangen. „Ihr seid immer soooo unglaublich lecker“, bedankt sie sich und ist im nächsten Moment schon wieder weg. Eine flüchtige Begegnung. Fast Food eben.

Der Chef ist da. Erkan bietet mir eine Tasse Tee an. Wir nehmen vor dem Antlitz der türkischen Kalksteinterrassen Platz. „Das ist Pamukkale“, erklärt Erkan mir. „Ich war dort und begeistert, was die Natur den Menschen alles gibt. Wenn ich selbst einmal ein Lokal aufmache, werde ich es so nennen, habe ich mir damals gedacht.“ Gesagt, getan. Nach seiner Gastro-Ausbildung beim Gösserbräu und seiner Tätigkeit in der Versicherungsbranche, hat Erkan 2003 das „Pamukkale“ eröffnet. Anfangs lief der Verkauf etwas schleppend. „Ältere Leute wollten Kebap früher absolut nicht probieren“, erinnert Erkan sich zurück und lacht. „Was der Bauer net kennt, frisst er net.“ Doch in den letzten 10 bis 15 Jahren habe der türkische Grillspieß einen gewaltigen Sprung nach oben gemacht. Eine gewisse Kebapkultur habe sich unter der Jugend von heute etabliert. Kein Wunder! Welche Mahlzeit bekommt man sonst um 3,40€, die so lange satt macht und noch dazu richtig gut schmeckt?

Das Geschäft läuft. Das hat Erkan unter anderem seiner Sonderstellung in Graz zu verdanken. Das „Pamukkale“ ist das einzige Lokal mit einer Genehmigung, rund um die Uhr offen haben zu können. Das lockt ein gewisses Publikum. „Nachts mit Betrunken zu arbeiten ist irgendwie lustig“, erzählt Erkan schmunzelnd. „Ihr Schamgefühl ist auf minimal gestellt.“ Einmal habe einer angefangen sich mitten im Lokal auszuziehen. Er gehe jetzt schlafen, habe er gesagt. Auf die Frage, ob er wisse wo er sei, habe er selbstbewusst geantwortet: „Ja, zuhause.“ Ich kann das Gefühl gut nachvollziehen. Erinnerungen von durchzechten Nächten kommen auf. Draußen eisige Kälte, bis auf die letzte Kalorie alles vertanzt, ausgebrannt. Drinnen wohlig warm, herrlich duftend, köstlich schmeckend…. Doch das ist meine privilegierte Perspektive. „Ist es nicht auch hart hier zu arbeiten, vor allem Nachts?“,  frage ich Erkan. „In jeder Branche ist es auch schwer“, antwortet er. „Mittlerweile sperren viele große Gastrobetriebe zu, weil wir ein Personalproblem in Graz und in der Steiermark haben. Kein Mensch möchte mehr in der Gastronomie arbeiten.“ Ich blicke um mich. Alle Arbeitnehmer scheinen Migrationshintergrund zu haben. „Nationalität spielt für uns keine Rolle“, sagt Erkan. „Wir nehmen jeden, der arbeiten möchte und fleißig ist. Doch es bewerben sich eben nur Migranten.“ Erkan bezahlt seine Mitarbeiter über Kollektivvertrag. Um die 1.300€ Netto landen somit bei jenen, die hier Tag und Nacht am Spieß drehen. Erkans Ausgaben sind durch Spesen, Sozialversicherungsabgaben, Nebenkosten usw. natürlich weitaus höher. Die Löhne anzuheben, wäre für ihn nicht leistbar. „Wäre es nicht möglich mehr fürs Kebap zu verlangen?“, frage ich naiv. „Das wäre ein Traum“, antwortet Erkan. Doch das Problem: Viele würden eigene Dönerläden eröffnen und die komplette Familie darin arbeiten lassen, um den Preis runter zu fahren. Auch das Fleisch komme teilweise irgendwoher, wo es billiger sei. Und durch Corona sei alles teurer geworden, vom Ketchup bis zu den Teigwaren, während der Kebappreis gleich geblieben ist. „Jeder kann tun was er will, einen beliebigen Preis verlangen und das System schaut nicht drauf“, fasst Erkan zusammen „Wie soll das bitte gehen?“

Ja, wie soll das gehen – frage auch ich mich. Der freie, kapitalistische Markt hat seinen Preis. Und diesen zahlen oft jene, die keine andere Wahl haben. Obwohl die Pandemie einmal mehr sichtbar gemacht hat, wie abhängig unser Arbeitsmarkt von migrantischen Arbeitskräften ist, hält sich die öffentliche Anerkennung in Grenzen. Der Applaus für die Systemerhalter:innen unter uns ist längst abgeklungen. Was bleibt, ist das Selbstverständnis, versorgt zu werden – und das rund um die Uhr. Ich liebe Fast Food. Doch der nächste Döner wird einen leicht bitteren Beigeschmack haben.

 

Julia Reiter hätte sich nie gedacht als Veganerin einmal eine Geschichte mit so einem Titel zu schreiben.

 

[1] Wortschöpfung aus dem Englischen Wort „hungry“, hungrig und „angry“, verärgert

[2] Name wurde von der Redaktion geändert. Du hast eventuell einen Job für Amir? Wir freuen uns über Kontaktaufnahme unter megaphon@caritas-steiermark.at