Text: Peter K. Wagner
Fotos: Arno Friebes

Beatrix hat genug vom Überfluss

Wenn Weihnachten im Rückspiegel liegt, wird vielen Menschen besonders bewusst: Wir leben im Überfluss. Beatrix Altendorfer kämpft dagegen an. Auch im Verschenkladen, der vor kurzem eins geworden ist.

Es ist ein gutes Gefühl, Dinge auszumisten, die mensch schon lange nicht mehr bewusst verwendet hat. Oder gar erst nie richtig haben wollte. Das dachte ich mir auch im Dezember 2018. Der Verschenkladen des Vereins „Nachhaltig in Graz“ war erst wenige Tage alt und mit einer nicht unermesslich großen Fuhr von potentiell Wertvollem machte ich mich mit dem von meiner Schwester geborgten Kombi zur Leonhardstraße 38 auf. Sack für Sack brachte ich in die kleinen Räumlichkeiten. Befreit, wieder mehr Platz zuhause zu haben, hätte ich eigentlich unmittelbar die Heimreise antreten wollen, doch meine Freundin meinte, es könnte doch vielleicht etwas für uns zu finden sein. Ungläubig gab ich ihr eine ein paar Minuten andauernde Chance, bis das Auto wieder aus der Ladezone geparkt werden musste. „Winterschuhe! Genau seine Größe!“, sagte sie nur kurze Zeit später. Und meinte den Bedarf an einem Paar Stiefelchen für den Junior.

Es ist das eine Glücksgefühl, Dinge weitergeben zu können, die mensch selber nicht mehr braucht. Und das andere, dringend Benötigtes kostenlos zu bekommen. Und dabei sogar noch nachhaltig zu agieren. Es ist nur eine kleine persönliche Anekdote, die aber die Idee des Verschenkladens von Beatrix Altendorfer nicht treffender beschreiben könnte. Ziemlich genau ein Jahr später stehe ich wieder am Ort des doppelten Glücksgefühls und bin mit Beatrix verabredet. Ein Jahr Verschenkladen liegen hinter ihr und ihren freiwilligen Helfer_innen. Es ist ein Donnerstag in der Vorweihnachtszeit. Also diese Zeit des Jahres, in der neben der Vorfreude auf den heiligen Abend, auch Überforderung in der Luft liegt. In keiner anderen Phase des Jahres werden wir tagtäglich in dieser Intensität dazu motiviert, zu konsumieren. Und schon sind wir mitten im Thema.

 

Schon vor drei Jahren gründete Beatrix gemeinsam mit Andrea Breithuber den Verein „Nachhaltig in Graz“, den die meisten Menschen über die gleichnamige Website kennen, und der 2017 etwa den österreichischen Klimaschutzpreis in der Kategorie „Tägliches Leben“ gewann. „Ich mache das aus dem Interesse heraus, nachhaltiger und einfach zu leben sowie weniger wegzuschmeißen“, erzählt Beatrix. Das Interesse an Umweltschutz hatte sie schon in jungen Jahren, als Tschernobyl, saurer Regen oder Waldsterben die großen Themen waren. Lange habe sie geglaubt, mit Mülltrennung und viel Radfahren sei es getan. Doch als ihre Kinder älter wurden und sie wieder mehr Zeit hatte, stellte sie sich die folgende Frage: Was soll ich aus meinem Leben noch machen? Sie entschied sich gegen die Karriere und für die Nachhaltigkeit. Nur mehr zehn Stunden die Woche geht sie ihrem Brotberuf in einer Steuerberaterungskanzlei nach, der restliche Alltag wird vom Ehrenamt bestimmt. Weil ihr Mann Vollzeit arbeitet, und weniger konsumiert, geht sich das finanziell aus. Begonnen hatte alles mit ein paar Büchern. In der Pfarre St. Leonhard in Graz stellte Beatrix 2015 ein offenes Bücherregal auf, eine Facebook-Gruppe für offene Bücherregale in Graz und Graz-Umgebung gründete sie ebenfalls – sie hat heute fast 1.800 Mitglieder. Auch ihre Website nachhaltig-in-graz.at hat täglich 1.700 Besucher_innen und Nachahmer_innen in Österreich und Deutschland.

Dass der Verschenkladen dieser Tage seinen ersten Geburtstag feiert, liegt vor allem daran, dass sich das Netzwerk an Helfer_innen stetig aufgebaut hat. 45 an der Zahl sind es aktuell, aus allen Alters- und Berufsgruppen. Drei Mitarbeiter_innen sind gleichzeitig im Einsatz, Beatrix selbst ist mittlerweile nicht mehr täglich da. Die Miete wird durch Spenden finanziert. Der Bezirksrat St. Leonhard ließ heuer 1.000 Euro springen. Die KPÖ und die Grünen unterstützen den Laden ebenfalls.  So sehr sie das freut, zufrieden ist Beatrix aber nicht. „Nachhaltige und im Umweltbereich tätige Vereine und Projekte haben es in Graz schwer zu finanzieller und sonstiger Unterstützung zu kommen, dabei ist das derzeit doch unser wichtigstes Thema überhaupt. Dabei zeigen die Zugriffszahlen der Website, die laufenden Anfragen von Interessierten und das Treiben im Laden, dass wir einen Nerv getroffen haben“, sagt sie. Auch an diesem Donnerstagvormittag herrscht reger Betrieb. Menschen bringen, Menschen packen ein. „Der Laden ist wunderbar“, sagt eine Besucherin zu mir, als sie bemerkt, dass wir hier gerade ein Interview führen. „Aber es kommt schon auch Kritik“, entgegnet Beatrix. Manche seien weniger erfreut, dass sie und ihre Helfer_innen nach Spenden fragen, um die 500 Euro Fixkosten pro Monat stemmen zu können. Auch, dass sie manchmal Stopp sagen, freut nicht alle. 30 Minuten sollte ein Besuch im Verschenkladen maximal dauern, ein Sack voll Wertvollem wäre das gedachte Maximum beim Mitnehmen. Regeln, die Gründe haben.

Auf 30 m2 wird von Büchern über Spielzeug, Schuhen, Kleidung, Geschirr, Dekoartikel bis hin zu Kosmetika Unterschiedlichstes angeboten, was Menschen nicht mehr benötigten. Immer wieder wird es zu viel und es muss aussortiert werden. Wenn es Ladenhüter gibt, greift Beatrix zum Handy und postet, damit wieder Platz geschaffen wird. „Es soll immer im Fluss bleiben“, sagt sie. Und überfordert das nicht? „Doch, schon. Zuhause brauche ich es ganz leer“, lacht sie. Das Gefühl des Flusses, es ist ein gespaltenes. „Es gibt die Freude, wenn etwas rausgeht, und das Negative, weil wir den Überfluss tagtäglich vor Augen geführt bekommen, aber auch die schlechte Qualität von manchen Dingen.“  Und wie soll es weitergehen? „Solange ich die Energie und genug Unterstützung habe, werde ich weitermachen“, sagt Beatrix, die nicht nur in Medien recht präsent ist, sondern auch Vorträge hält. „Und eigentlich wäre es meine Idee, dass es solche Läden auch in anderen Teilen der Stadt gibt. Ich würde auch gerne beratend zur Seite stehen.“ Na dann?